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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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war stockfinster. Ich versuchte, die Fluchtrichtung beizubehalten. Als ich mit schmerzenden Lungen und keuchend wieder an die Oberfläche kam, hatte ich das erste Seegrundstück passiert. Ich schwamm, so schnell ich konnte, auf die Mitte des Sees zu. Als ich mich umdrehte, konnte ich niemanden mehr am Ufer entdecken.
    An der anderen Seite machte die letzte Fähre los. Sie hielt direkt auf mich zu. Mein Bein krampfte. Ich schwamm auf die Fähre zu und rief um Hilfe. Erst als mich die Lichtkegel auf dem Wasser erfassten, bemerkte man mich. Die Fähre gab einen schrillen Hupton von sich und rasselte mit allem, was der Dieselmotor hergab, auf Stopp.

    Ein älterer Mann mit einer zerknautschten Schiebermütze auf dem Kopf verließ die Kabine und trat an die Reling. Die wenigen Passagiere drängten sich neugierig hinter ihm zusammen. Ich schwamm auf ihn zu und hielt mich am Außenrand des Einstiegs fest. Er reichte mir eine Hand, und ich zog mich hoch. Die Passagiere traten ein paar Schritte zurück. Das Wasser, das aus meinen Hosenbeinen lief, färbte sich rot.
    »Wohl zu viel gebechert, wat?« Der Bootsführer schüttelte den Kopf und setzte sich wieder in sein Fahrerhäuschen. Der Motor rumpelte wieder los, die Fähre bewegte sich Richtung Haltestelle. Da sah ich ihn. Erst war er nur ein grauer Schatten. Dann, als die Fähre näher kam, sah ich, dass er einen Hut und einen hellen Mantel trug. Reglos stand er an der Anlegestelle und wartete. Panik kroch in mir hoch. Ich riss die Tür zum Fahrerhäuschen auf. »Nicht anlegen! Drehen Sie um!«
    »Sind Sie übergeschnappt? Setzen Sie sich hin!«
    Der Kapitän, oder wie immer man den Herrn dieser Nussschale nennen wollte, griff nach der Tür und wollte sie schließen.
    Wir waren noch zehn Meter von der Anlegestelle entfernt. Der Mann löste sich aus dem Schatten und betrat den Steg. Der Kapitän drosselte den Motor, das Schiff glitt weiter.
    »Sehen Sie den Mann dort?«, fragte ich den Kapitän so ruhig wie möglich. »Er hat eine Waffe. Er wird sie benutzen. Kehren Sie um!«
    Der Kapitän sah zu der dunklen Gestalt auf dem Steg. »Der holt doch nur jemanden ab.«
    Dem Mann entging nicht, dass es Diskussionen an Bord gab. Er hob die Hand, und im Lichtkegel der Fähre blitzte stahlblau eine Pistole.
    »Zurück!«
    »Das ist doch nicht die Möglichkeit …« Der Kapitän griff nach dem Mikrofon eines Funkgerätes. Der erste Schuss zersplitterte das Kabinenfenster. Das Mikrofon fiel auf den Boden.

    »Deckung!«, schrie ich.
    Auf der Fähre brach Panik aus. Das Ufer war noch fünf Meter entfernt. Der Mann stand am Ende des Steges und feuerte. Er zerschoss sorgfältig ein Fenster nach dem anderen. Die Passagiere schrien und klammerten sich aneinander. Der Kapitän lag auf dem Boden und blutete aus einer Kopfwunde.
    Ich beugte mich über ihn. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ich … ich weiß nicht.« Er griff sich an die Stirn und betrachtete das Blut an seiner Hand. Erneut pfiff eine Kugel über uns hinweg. Drei Meter bis zum Landungssteg.
    »Wir müssen weg«, flehte ich.
    Der Mann hatte Zeugen. Dieser Irre zerschoss gerade eine kleine, unschuldige BVG-Fähre. Er würde uns alle töten. Der Kapitän rappelte sich auf. Geduckt erreichte er ein Pedal. Der Motor röhrte auf. Dann betätigte er eine Art Lenkrad. Es rasselte und rappelte. Das Schiffchen bäumte sich auf, Schaum spritzte durch das zerschossene Fenster, ich konnte den Mann sehen, er setzte an, um an Bord zu springen, da drehte das Boot im letzten Moment ab. Der Kerl fuchtelte mit der Pistole in der Luft herum und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Der Kapitän gab Gas, die Fähre drehte ab und rauschte davon. Die Passagiere hoben vorsichtig die Köpfe. Nach etwa zehn Sekunden wagte ich, aus dem zerborstenen Fenster zu sehen. Der Mann war verschwunden.
    »Das war knapp«, sagte ich. »Danke.«
    »Danke?«, brüllte der kleine Kapitän vor mir. Er war über fünfzig, hatte ein rundes, rotes Gesicht und wirkte im normalen Leben wohl so friedlich wie ein Postbote. Jetzt war er eine Zeitbombe unmittelbar vor der Explosion.
    »Sehen Sie sich den Schaden an! Sie hätten uns alle umbringen können!«
    Ich hatte keine Zeit zu antworten. Am Grünauer Ufer sprang ein Motorboot an. Es röhrte gegen das Tuckern der Fähre an und setzte sich in Bewegung.

    »Schneller. Sie müssen schneller fahren! Sie sind schon wieder hinter uns her!«
    »Hinter uns? Hör ich recht? Ich hab nichts verbrochen. Ich rufe die

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