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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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einmal verschüttet gewesen war.
    »Wie hat man das im Krieg eigentlich ausgehalten?«, fragte ich ihn.
    Er setzte sich mühsam auf. »Wir haben Mensch-ärgere-dichnicht gespielt.«
    Seine Tochter lachte auf. Er sah sie kurz ernst an. »Oder wir haben uns Geschichten erzählt. Und irgendwann auch Dinge, die man sich sonst nie gesagt hätte. Ich würde mich gerne bei dir entschuldigen, Sigrun. Für das, was ich vorhin gesagt habe. Das war nicht richtig. Ich bin stolz auf dich. Ich will, dass du das weißt.«
    Sigrun verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Stunde der Wahrheit. Sollen wir jetzt alle unsere Lebenslügen auspacken? Ihr beiden da, fangt doch schon mal damit an. Was läuft zwischen
euch? Was habt ihr miteinander, gegen das ich nicht angekommen bin?«
    Marie-Luise warf das Brecheisen weg. Sie lief ein paar nervöse Schritte, ließ sich wieder fallen und arbeitete weiter. Es war sinnlos. Mehr als ein paar Kratzer auf den Ziegeln kam nicht dabei heraus. Aber immerhin war sie beschäftigt.
    »Hallo! Ich rede mit euch!«
    Sigruns Stimme war scharf und schneidend. »Wollt ihr beide mir weismachen, da ist nichts? Sagt es mir doch einfach. Das kommt doch in den besten Familien vor.«
    Utz schloss müde die Augen.
    Ich holte tief Luft. »Lass es gut sein.«
    »Ich will wissen, warum du mich betrogen hast!«
    »Er hat Sie nicht betrogen.«
    Marie-Luise ließ den Kopf sinken. »Er hat bis zuletzt versucht, den größten Schaden von Ihnen abzuwenden. Aber gegen Borniertheit ist leider kein Kraut gewachsen.«
    »Wir sind Freunde«, sagte ich langsam. »Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
    Sigruns Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Sie sah uns an, einen nach dem anderen.
    »Wunderbar. Was soll man dazu sagen? Ein Herz und eine Seele. Und du, Papa? Womit hast du mich hinters Licht geführt?«
    »Was meinst du damit?«
    Sigrun trat mit dem Fuß an die Wand. »All das ganze Gerede von unserer hochdemokratischen, ehrenwerten Familie. Von dem Landgut in Pommern. Wollten wir da nicht immer mal hinfahren? Wir beide?« Sie hörte auf, die Wand zu traktieren, und blickte ihrem Vater direkt ins Gesicht. »Natalja. Natalja Tscherednitschenkowa. Die größte Lüge von allen. Du hast mir bis heute Abend nie ein Wort von ihr erzählt.«
    »Es ist so lange her. Es ist nicht mehr wichtig.«
    Sigrun schüttelte langsam den Kopf. »Sie ist dir wichtiger als
alles andere zusammen. Sogar mehr als ich. Seit du weißt, dass sie lebt.«
    Sie rieb sich über die Augen, aber es half nichts. Die Tränen liefen ihr die Wangen herunter, und ihre Hände verschmierten sie mit Staub und Erde. »Jetzt will ich es wissen. Was ist damals passiert?«
    Utz wandte das Gesicht ab von ihr. Ich konnte sein Profil kaum noch erkennen. Mit Schrecken merkte ich, dass die Lampe immer schwächer wurde.
    »Wie wäre es, wenn du die nie erzählte Geschichte jetzt endlich mal zum Besten gibst? Was ist passiert damals?«
    Marie-Luise ließ das Brecheisen auf den Boden fallen und gab endgültig auf. Sie rutschte ein Stück näher in meine Richtung und lehnte sich an die Wand. Wir saßen jetzt fast in einer Art Halbkreis. Zum ersten Mal, seit wir hier unten gefangen waren, nicht mehr in verschiedenen Lagern getrennt. Alle schauten wir auf Utz.
    »Ich war es«, antwortete Utz leise. »Ich habe sie verraten.«
    Stille. Nach einiger Zeit fuhr er fort.
    »Es hatte einen schweren Luftangriff gegeben. Meine Mutter hatte den Keller verschlossen, wie so oft, wenn nachts ein Auto vorgefahren kam, und etwas ausgeladen wurde. Wir waren wohl so etwas wie die angesehensten Hehler vom Grunewald. Der Keller blieb so lange zu, bis ein anderes Auto kam, um abzuholen, was dort gelagert war. Aber die Angriffe kamen immer häufiger, und meine Mutter war immer seltener zu Hause. An diesem Abend war das Bombardement so heftig, dass Natalja entgegen jeder Anweisung die Kellertür aufbrach, um uns in Sicherheit zu bringen. Wir hatten riesiges Glück. Es war die Nacht, in der der Blindgänger in die Kartoffeln fiel.«
    Im trüben Licht der Lampe konnte ich erkennen, dass Sigrun ein bisschen lächelte. Wenigstens diese Familienlegende erwies sich als wahr.

    »Wir verließen den Keller unversehrt. Aber ich war neugierig. In der Nacht bin ich noch einmal hinuntergeschlichen. Es waren Bilder da unten versteckt. Die waren uninteressant. Aber das Schatzkästchen …«
    Er schwieg einen Moment und legte sich in einer bequemeren Lage halb auf den Boden.
    »Ein richtiges, kleines

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