Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
hatten viele der großen Häuser damals. Hoffentlich ist der Gang noch in Ordnung.«
»Still«, flüsterte Sigrun. »Ich höre was.«
Ich knipste sofort die Lampe aus. Wir verharrten in völliger Reglosigkeit.
Das Geräusch kam vom Ufer. Eine leise Bewegung im Wasser durchschnitt das träge Plätschern der Wellen. Ein Mensch stieg aus dem Wasser. Utz tastete nach der Taurus, aber ich legte die Hand auf seinen Arm. Dann holte ich das übrig gebliebene Stemmeisen aus der Tasche. Die Gestalt schlich geduckt ans Ufer und richtete sich halb auf. Sie kam direkt auf uns zu. Ich bedeutete
Utz und Sigrun, sich hinter den Bäumen zu verstecken. Ich selbst schmiegte mich an den vordersten Stamm. Als die Gestalt kurz vor mir stehen blieb, sprang ich vor und warf sie auf den Boden. Sie stieß einen kurzen, erstickten Schrei aus.
»Marie-Luise!«
Sie hustete und spuckte. »Du musst mich nicht gleich umbringen! «
»Wie kommst du hierher?«
»Mit dem Auto natürlich.«
Utz und Sigrun traten aus ihren Verstecken hervor. »Was sollen denn diese Spielchen?«, fragte Sigrun. »Spionieren Sie uns nach?«
»Das ist nicht ihr Ernst, oder?«, fragte mich Marie-Luise.
»Waren Sie das Auto, das uns verfolgt hat?«
Marie-Luise klopfte sich die Hose ab. »Ich verfolge niemanden. Ich bin euch nachgefahren, damit hier keine Schäfchen ins Trockene gebracht werden.«
»Das ist ja ungeheuerlich!«
»Schluss!«, zischte ich. »Es reicht. Reißt euch zusammen. Marie-Luise, was ist mit Milla?«
»Darum kümmert sich Kevin. Ich habe ihn angerufen. Er checkt jetzt gerade Horsts Wohnung ab.«
»Schön, wenn man Freunde hat.« Sigrun drehte sich auf dem Absatz um und ging zurück zu Utz, der die Zeit nicht mit sinnlosem Geplänkel vertan hatte, sondern weitergrub.
»Das ist ja ein Schätzchen«, flüsterte Marie-Luise. »Herzlichen Glückwunsch. Ihr passt zueinander.«
»Hier.«
Ich drückte ihr das Stemmeisen in die Hand. »Hilf mit, und halt den Mund.«
Utz hatte die Platte freigelegt. Sie bestand aus verrostetem Eisenblech, auf das eine Art geraffeltes Hahnentrittmuster geprägt war. Er richtete die Taschenlampe auf sie. »Seht ihr das hier?«
Er deutete auf mehrere blanke Rillen, die den Lichtstrahl reflektierten.
»Jemand war hier. Vor nicht allzu langer Zeit. Das ist mir auch alles zu flott mit dem Ausgraben gegangen.«
»Lass uns gehen«, bat Sigrun. »Es ist unheimlich hier. Und außerdem machen wir uns strafbar.«
»Bitte sehr«, brummte Marie-Luise. »Da hinten geht’s raus. Und schöne Grüße an Ihr Gewissen. Das haben Sie wohl zu Hause gelassen.«
Ich setzte das Brecheisen an, gemeinsam wuchteten wir die Platte nach oben. Auf einem schmalen Absatz lag ein Stab, mit dem man sie sichern konnte. Ich leuchtete hinein. Mehrere Stufen führten hinunter in einen Schacht.
»Ich gehe zuerst.« Vorsichtig stieg ich die Stufen hinunter und erreichte einen feuchten, mit Beton ausgekleideten Gang. Die Wände waren rissig und feucht, die Decke niedrig, vielleicht einen Meter hoch. Vertrauen erweckend sah das alles nicht aus. Ich ging auf die Knie. Nach mir kam Utz.
»Ist der Gang sicher?«, fragte ich ihn.
Utz sah sich um. »Er sollte einiges aushalten. Ich weiß natürlich nicht, was er im Krieg so alles mitbekommen hat.«
Ich kroch vor und sah, dass Sigrun Utz folgte. Ich rief Marie-Luise zu, dass sie die Platte hinter uns wieder herunterlassen sollte. Feuchte, erdige Luft schlug mir entgegen.
»Es sind nur zwanzig Meter«, sagte Utz hinter mir. Seine Stimme beruhigte mich. Ich kroch weiter, bis ich an eine halbrunde Eisentür kam. Sie hatte ein altmodisches Bartschloss unter einer einfachen Klinke.
»Das Brecheisen«, flüsterte ich.
Utz gab meinen Befehl nach hinten durch, und die Stange wurde nach vorne gereicht. Ich setzte sie an, aber die Tür rührte sich nicht. Hinter mir drängelten sich die drei anderen.
»Lass mich mal.« Marie-Luise schob sich vor Sigrun.
»Moment.«
Utz drückte die Klinke nieder und zog. Die Tür öffnete sich mit einem schleifenden Knarren nach außen. Rost regnete auf uns herab. Ich leuchtete durch den Spalt. »Könnt ihr bitte einen halben Meter zurückgehen?«
Jetzt konnte ich die Tür öffnen. Sie führte direkt in den geheimen Kellerraum.
»Und?«, fragte Marie-Luise. »Was siehst du?«
Ich leuchtete die Wände ab. Den Boden. Schließlich die Decke. Dann begriff ich, dass das hier keine Halluzination war. »Nichts«, sagte ich. »Der Keller ist leer.«
Ich kletterte in den Raum,
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