Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
befahl er.
Connie stand mit zitternden Lippen da. Leider nicht in der Schusslinie. Ich wusste nicht, was ich in dieser Situation noch tun konnte. Connie war unsere einzige Chance.
»Er wird dich auch töten«, sagte ich. Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
Aaron zielte auf mich. »Halt’s Maul, Arschloch. Schaff endlich deine Freundin da rein. Und du verpisst dich jetzt. Auf der Stelle, sonst kannst du ihm gleich Gesellschaft leisten.«
»Wenn man sich liebt, gibt es immer einen Weg. Sag es mir. Nur ein einziges Mal.«
Aaron zielte auf Connie, dann wieder auf mich. Er konnte sich nicht mehr entscheiden. »Du blöde, beschissene Kuh! Mein Gott, gehst du mir auf den Geist.«
»Das … das meinst du doch nicht so?«, stotterte sie.
»Verpiss dich! Verstehst du kein Deutsch? Verpiss dich!«
In diesem Moment hatte die Petroleumlampe ihren Job erfüllt. Aus dem Schuppen drang Rauch. Die Holzwolle hatte Feuer gefangen. Ich sah es an Aarons Augen, die sich vor Schreck weiteten. »Gottverdammte Scheiße! Was soll das?«
Er lief auf den Schuppen zu. Die Flammen züngelten hinüber zu den Stoffballen und leckten an den Holzkisten hoch.
»Tu was!«, brüllte er Connie an. »Beweg endlich deinen dämlichen Arsch! Hol Wasser!«
Aber Connie blieb wie angewurzelt stehen. Aaron lief in den Schuppen. Er trampelte auf den Flammen herum und versuchte dabei, mich weiter mit der Sig in Schach zu halten. Das war meine Chance. Mit drei Schritten war ich bei der Schuppentür und wollte sie zuschlagen.
Da spürte ich einen gewaltigen Schlag auf den Brustkorb, der mich mitten in der Bewegung stoppte. Ich kippte vornüber und fiel mit dem Gesicht ins Gras.
Noch ein Schuss. Aaron wankte. Mit offenem Mund starrte er zu Connie. Wie durch einen Schleier sah ich sie vor ihm stehen. Connie hielt Utz’ Waffe in der Hand. Sie musste sie Aaron abgenommen haben, als er sie an sich gezogen hatte.
Ein dunkelroter Fleck breitete sich auf seiner Brust aus. Er schleppte sich zur Tür und hielt sich am Rahmen fest. Er lachte und hustete gleichzeitig. »Du … du … blöde …«
Connie feuerte das gesamte Magazin leer. Aaron fiel einen halben Meter vor mir zu Boden. Seine Augen waren schon tot, bevor sein Kopf aufschlug.
Ich konnte nichts weiter tun als daliegen und versuchen, nicht zu sterben. In meinem Brustkorb wurde es kalt. Meine Beine spürte ich nicht mehr.
Connie ging neben Aaron in die Knie. Sie hob seinen Kopf in ihren Schoß und drückte ihn an sich. Dabei wiegte sie ihren Oberkörper sacht hin und her und starrte an mir vorbei in den Schuppen. Ich konnte den Kopf nicht drehen, aber ich hörte, wie das Feuer sich durch das Holz und die Leinwand und die Ölfarben fraß. Ich roch den sengenden Geruch von verbranntem Tuch. In Connies Augen spiegelten sich die Flammen. Dann wurde es Nacht um mich.
42
Jemand schlug mir ins Gesicht.
»Können Sie mich hören?«
Stimmen. Viele Stimmen. Schreie. Blaues Warnblinklicht. Zwei Männer in weißen Kitteln. Einer beugte sich über mich und leuchtete mir in die Augen. Ich musste blinzeln.
»Ah ja. Na also.« Befriedigt griff der Mann zu einem Infusionsständer, der mit mir verbunden sein musste. Stöhnend wollte ich mich aufrichten, aber der Mann drückte mich wieder herunter.
»Nicht rühren. Sie haben viel Blut verloren. Wir warten auf den Rettungshubschrauber. Es dauert nicht mehr lange.«
Ich hustete. Brandgeruch steckte in meinen Kleidern und Haaren, aber ich konnte nicht erkennen, wie weit das Feuer entfernt war.
»Jojo.« Milla beugte sich über mich. Sie war so blass, dass die Ringe unter ihren Augen fast schwarz wirkten. »Es geht uns gut. Es war, wie sagt man? Rettung in letzter Sekunde.«
»Wo ist Marie-Luise? Und Horst? Hilf mir.«
Sie half mir hoch, endlich konnte ich die Lage überblicken.
Wir befanden uns links neben der Jagdhütte. Weiß gekleidete Beamte der Spurensicherung untersuchten das Führerhaus des Lastwagens. Dahinter schwelten die Überreste des Schuppens. Feuerwehrleute löschten immer noch. Aarons Leiche wurde gerade in einen Zinksarg gehoben. Connie und Marie-Luise saßen, in Decken gehüllt, nebeneinander auf einem Baumstamm. Zwei Polizeibeamte und eine Frau sprachen mit ihnen. Eine Krankenschwester gab Connie eine Spritze. Connie weinte. Neben dem Haus standen zwei Streifenwagen. Die Frau half Connie beim Aufstehen und führte sie zu dem Wagen. Auf halbem Weg hielt sie an und ging zu mir. Dunkle Blutflecken trockneten auf ihrem weißen Kleid. Ihre Augen
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