Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
leuchteten in einem unnatürlichen Glanz. Vermutlich begann gerade das Beruhigungsmittel zu wirken. Sie trat unsicher von einem Fuß auf den anderen und rieb sich fröstelnd die Arme.
»Das ist alles so dumm gelaufen«, sagte sie schließlich. »Wie geht es dir?«
Ich konnte mich nicht recht entscheiden. Immerhin hatte ich es ihr zu verdanken, dass ich hier halb tot auf einer Bahre lag. Aber sie war auch irgendwie dafür verantwortlich, dass ich nicht ganz tot war.
»Gut«, krächzte ich. »Und dir?«
Connie senkte den Kopf. In diesem Moment wurde der Sarg an uns vorübergetragen und in einen Wagen der Gerichtsmedizin geschoben.
Sie sah ihm hinterher. »Keine Angst. Ich wäre nicht übergelaufen. Ich wollte ihn überzeugen. Ich dachte, er hört auf mich.«
Der Wagen wendete unter einigen Schwierigkeiten und fuhr langsam davon. Die Frau trat zu uns.
»Wir müssen gehen«, sagte sie leise.
Connie nickte. »Er hat mich geliebt. Das weiß ich. Trotz der ganzen gemeinen Sachen, die er gesagt hat. Jetzt weiß ich es. Er hätte mich doch sonst auch erschossen, oder?«
Sie sah mich verzweifelt an. »Irgendwo hat er mich geliebt, nicht?«
Ich nickte. »Irgendwo, ja.« Was hätte ich sonst sagen sollen?
Die Frau nahm Connie sanft am Arm und führte sie zu dem Streifenwagen. Ein Geräusch am Himmel kam langsam näher. Mir wurde schlecht.
»Jojo?«, fragte Milla. »Jojo?«
Ich öffnete wieder die Augen. Es fiel mir sehr schwer. Aber was ich dann sah, ließ mich die Übelkeit einen Moment vergessen. Marie-Luise und Horst kamen auf mich zu. Beide, ich traute meinen Augen nicht, Arm in Arm.
Milla lächelte. »Er war immer bei mir. Er hat mich nicht im Stich gelassen. Er ist ein guter Mann.«
Horst nahm seine Decke von den Schultern und legte sie um Milla.
»Wird schon wieder«, sagte er. »Wir haben vier Mal gekotzt, bis das Kohlenmonoxyd draußen war. Kinder, ist mir schlecht. Gibt es hier irgendwo einen Schnaps?«
Milla nickte mir zum Abschied zu, und die beiden wurden im zweiten Streifenwagen in Empfang genommen. Marie-Luise hatte eine dicke Nase und trug einen Kopfverband.
»Horst also nicht«, sagte ich zu ihr.
Marie-Luise sah den beiden nach. »Ich hatte ihn auch einen Moment unter Verdacht.«
»Wer war es?«
Sie zog ihre Decke ein wenig enger um sich. »Walter. Ekaterina hat ihn gerade noch entdeckt. Er war schon hinter der Passkontrolle.«
»Walter ist ein Albaner?«
»Natürlich nicht. Wer hat dir denn diesen Floh ins Ohr gesetzt? Walter ist Sorbe. Und manchmal spricht er halt auch wie einer.« Marie-Luise inspizierte mich. »Bedank dich lieber bei Kevin. Er hat die Polizei alarmiert. Es hat nur etwas gedauert, bis die Bullen
ihm geglaubt haben. Ich bin auch erst aufgewacht, als der erste Streifenwagen hier war. Da hat alles schon lichterloh gebrannt, es war nichts mehr zu retten. Na ja. Eine Leiche, eine Durchgedrehte, zwei ohnmächtige Verletzte auf der Wiese und zwei halb erstickte Gefesselte im Lkw, das waren dann wohl doch überzeugende Argumente. O Mann. Franz Marcs Turm der blauen Pferde. Ich darf gar nicht darüber nachdenken.«
Das Geräusch wurde ohrenbetäubend. Ich konnte den Hubschrauber nicht sehen, das Haus verdeckte ihn. Aber die Wipfel der Bäume neigten sich gefährlich. Die Sanitäter kamen auf uns zu. Marie-Luise wurde zur Seite geschoben. Man schnallte mich fest und hob die Bahre hoch. Marie-Luise lief nebenher.
»Sag meiner Mutter …«
»Was?«, schrie Marie-Luise.
Vor der Jagdhütte, auf der Lichtung, stand der Hubschrauber. Einige Schaulustige hatten sich irgendwie durchs Unterholz gekämpft und standen hinter einer Absperrung. Polizisten durchsuchten das Gelände. Im Dämmerlicht des Waldes hatten sie riesige Scheinwerfer aufgestellt. Alles wirkte wie eine Filmszene.
»Was soll ich ihr sagen?«
Ein Polizist hielt sie fest, aber Marie-Luise kämpfte sich noch einmal an mich heran.
»Sag ihr, sie soll nicht mit dem Essen auf mich warten.« Ich versuchte ein schwaches Lächeln. Der Rest waren zwei Wochen Schmerzen.
43
Im Krankenhaus gab man sich größte Mühe, die Tageszeitungen zu zensieren und mir nur unverfängliche Exemplare mitzubringen. Einem Patienten aus dem Nebenzimmer handelte ich schließlich die beliebteste Berliner Boulevardzeitung ab. Endlich
konnte ich mir, nicht zuletzt dank des hervorragenden Fotomaterials eines gewissen Alexander Dressler, ein Bild von dem machen, was passiert war.
Was bei Sigrun passiert war.
Sie hatten die gesamte Villa auf den
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