Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Look? Erinnert mich ein bisschen an den Streetgang-Schick von São Paulo. Brauchst du grünen Tee?«
»Ich brauche Kaffee«, knurrte ich und nahm die Post.
»Für die Augen«, erklärte sie. »Herr von Zernikow will dich sprechen.«
Ich ging in mein Büro und nahm wenig später von Connie zwei ausgedrückte Teebeutel entgegen, die ich auf meine Augen legte. Ich sah hinterher aus wie vorher, aber die Schmerzen ließen etwas nach. Wortlos stellte Connie ein Glas Wasser vor mich und legte zwei Aspirin daneben. Ich versuchte mich zu sammeln und ging hinüber.
»Um Gottes willen!«, begrüßte mich Utz. »Was ist passiert?«
Ich schloss die Tür. »Ich hatte gestern Abend Besuch.«
»Einbrecher? Hast du die Polizei …«
»Keine Polizei«, schnitt ich ihm das Wort ab. »Darf ich?«
Ich ließ mich in den Chesterfield-Sessel vor seinem Schreibtisch sinken. Den Teebeutel drückte ich mir abwechselnd aufs eine, dann aufs andere Auge. Sollte er ruhig mitbekommen, was ich für seine Familienehre durchmachte. Als die Spannung den Höhepunkt erreichte, sagte ich: »Nataljas Tochter war bei mir.«
»Wessen Tochter?«
Ich musterte ihn durch die Schlitze meiner verschwollenen Augen. Er wirkte klar und gefasst. »Nataljas Tochter, Milla Tscherednitschenkowa.«
»Eine … eine Frau hat dich so zugerichtet?«
Ich warf ihm einen scharfen Blick zu. Mein vermutlicher Nasenbeinbruch war eine Tatsache. Ob das nun eine Frau, ein Mann oder ein Rudel Kühlschränke auf Raubzug verursacht hatte.
»Was hast du Sigrun erzählt?«
»Dass mir jemand den Porsche klauen wollte und ich die Kerle in die Flucht geschlagen habe. Ich habe sie nicht gerne angelogen. Aber ich glaube, wir sollten sie aus der Sache heraushalten.«
Utz sah mich lange an. »Welche Sache?«
Ich versuchte, die ganze Geschichte möglichst auf den Punkt zu bringen. Es fiel mir nicht leicht. Als Utz das Wort Zwangsarbeiterin hörte, zuckte er zusammen.
»Aus meiner Sicht solltest du ihr ein paar nette Zeilen schreiben und diese Tatsache ohne Wenn und Aber zugeben. Sie hat zwar keine rechtlichen Möglichkeiten, aber sie ist ziemlich sauer.«
»Nein«, hörte ich Zarah Leander hinter mir. Mir fiel der Teebeutel aus der Hand. Die Freifrau saß in ihrem Rollstuhl im Erker und hatte alles mitbekommen.
»Mutter!«, rief Utz. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass das mein Zimmer ist?«
Sie musterte ihn. »Dies ist das Zimmer deines Vaters, vergiss das nicht. Ich sitze hier, so lange ich will.«
… hierrr, so lange ichchch will. Es klang, als habe sie diesen Satz für die Reinhardt-Bühne einstudiert.
»Geh nach oben«, herrschte er sie an, wobei er ihr Gebrechen völlig ignorierte.
Ich konnte Utz verstehen. Es war unheimlich, wo und wie die Freifrau mit ihrem lautlosen Rollstuhl überall auftauchte. Mich hatte sie einmal abends fast zu Tode erschreckt, als ich über Akten brütete und plötzlich hinter mir einen Schnarcher hörte. Sie hatte sich herangeschlichen und war mitten in ihrer Observation eingeschlafen.
»Sollen wir später noch einmal … ?« Ich erhob mich.
»Nein. Mutter. Bitte. Ich mag das nicht.«
Die Freifrau rollte näher. Ich wäre am liebsten gegangen. Das Alter hatte sie fast durchsichtig werden lassen. Dennoch hatte sie sich unter all den Falten, Runzeln und Flecken eine unglaubliche Willensstärke bewahrt.
»Und ich mag es nicht, wenn du mir widersprichst«, sagte sie. »Meine Antwort ist: Nein. Auf Wiedersehen, Herr Vernau. Grüßen Sie Ihre reizende Frau Mutter von mir.«
Ich starrte Utz an. Die Freifrau hatte meine Mutter noch nie zu Gesicht bekommen.
Utz umrundete den Schreibtisch und schob seine Mutter zur Tür. »Es ist mein Zimmer«, sagte er.
»Es ist das Zimmer deines Vaters!«
Utz ließ den Rollstuhl los, drückte auf eine Taste seines Telefons und sprach mit Walter. Als er wieder hochsah, war sie verschwunden. Wir suchten beide nach ihr, im Erker und hinter den Vorhängen, dann ging ich in den Flur und sah, wie sich die Türen des Aufzuges schlossen. Wir waren allein.
»Es wird immer schlimmer«, sagte er. Er trat zu einem Beistelltisch, auf dem liebevoll eine Flasche Whiskey nebst wunderschönen Gläsern dekoriert war. »Auch einen?«
Ich schüttelte den Kopf. Er goss sich zwei Fingerbreit ein und nahm einen tiefen Schluck. »Weißt du, was ich glaube?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Vielleicht ist es ein groß angelegter Betrug. Jemand will mich erpressen. Ich war bei Kriegsende zwölf Jahre alt. Wie soll ich mich da
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