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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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schuldig gemacht haben?«
    »Sie sagt, sie wäre dein Kindermädchen gewesen.«
    »Ich hatte viele Kindermädchen. Deutsche, Polinnen, vielleicht war sogar eine Russin darunter. Ich kann mich kaum noch erinnern. Dieser ganze Krieg ...« Er trank das Glas aus.
    Ich räusperte mich. »Soweit ich weiß, bist du weder schadenersatzpflichtig noch moralisch für irgendetwas zur Verantwortung zu ziehen. Das erledigt alles der Stiftungsfonds. Du musst nur unterschreiben.«
    »So einfach wird es nicht gehen. Natalja Tscherednitschenkowa ist im November 1944 in Berlin gestorben.« Er knallte das Glas auf den Tisch. So plötzlich also kam Erinnerung wieder.
    »Sag ihr, sie bekommt nichts von mir. Ich lasse mich nicht zum Narren halten. Die Frau, die angeblich ihre Mutter war, ist tot. Es fällt mir schwer, daran zu denken, und es geschieht nicht ohne Schmerzen, aber es gibt sie nicht mehr. Also kann ich ihr auch nicht mehr helfen.«
    Er drehte sich mit seinem Ledersessel und blickte zum Fenster hinaus. Er hatte Recht, ihr konnte er nicht mehr helfen. Aber
es war sein Garten gewesen, in dem eine andere Frau gestanden hatte, die jetzt tot war.
     
    Ich ließ mich wieder über die Telekom mit der Maria-Hilf-Gemeinde verbinden. Utz hatte eine Frau mit dem Namen Natalja Tscherednitschenkowa gekannt. Diese Frau war tot. Gestorben 1944. Dann konnte sie also auch keine Tochter haben. Erst recht keine namens Milla.
    Dieses Mal war eine ältere Dame am Apparat. »Nein, der Herr Pastor ist nicht im Hause.«
    »Kann ich dann bitte mit Milla Tscherednitschenkowa sprechen? «
    »Mit wem?«
    Ich wiederholte den Namen.
    »Das tut mir leid. Aber es gibt hier keine Frau Tscherdni …«
    Ich wurde ungeduldig. »In Ihrem Gästezimmer. Seit heute Nacht. Ich habe sie doch selbst vor Ihrer Haustür abgesetzt.«
    »In unserem Gästezimmer? Wir haben kein Gästezimmer.«
    Ich legte auf.
    In letzter Zeit ließ ich mich ziemlich oft von Frauen aufs Glatteis führen. Wie auf Bestellung öffnete sich die Tür, und die nächste trat ein.
    Connie. Sie hielt einen kleinen gelben Zettel in der Hand. Ich warf meinen Stift auf die Unterlagen. Mutter hatte mir jetzt gerade noch gefehlt.
    Ich streckte resigniert die Hand aus, doch Connie warf einen betrübten Blick auf den Zettel, schloss leise die Tür und blieb stehen.
    »Das KaDeWe«, las sie vor.
    »Wie?«
    »Das KaDeWe.«
    »Was will das KaDeWe?«, fragte ich unter Aufbringung sämtlicher Ruhe, zu der ich noch fähig war.

    Connie las wieder die Notiz vor, die meines Wissens nicht mehr als sechs Buchstaben enthielt, und streckte sie mir dann entgegen. »Immerhin steigert sie sich. Das letzte Mal war es noch Tengelmann, stimmt’s?«
    Connie hatte Recht. Meine Mutter machte Karriere.
     
    Ich liebe das KaDeWe.
    Aber zum Einkaufen bin ich nie hingegangen. Ich liebe seinen Mythos, denn ich bin mit ihm aufgewachsen. Es ist ein Stück übrig gebliebenes Westberlin, an das ich mich von Zeit zu Zeit gerne erinnere. Es ist nicht viel von diesem Westberlin übrig geblieben, und ich habe manchmal Sehnsucht nach ihm. Dann gehe ich ins KaDeWe. Nur dann.
    Aber nicht, wenn man die eigene Mutter wie ein Häuflein Elend vor einem Schreibtisch sitzen sieht, hinter dem ein gelangweilter Sachbearbeiter am Kugelschreiber kaut und vor sich eine Rügenwalder Teewurst liegen hat.
    »Das ist alles?«, fragte ich. Ich hatte zumindest mit einem warmen Schal gerechnet. Oder einem Paar Handschuhe. Irgendetwas Praktisches, das man im Winter gebrauchen könnte. Meine Mutter kaufte immer antizyklisch. Beschaffte es sich, müsste ich jetzt wohl eher sagen.
    »Diebstahl ist Diebstahl«, antwortete der Unmensch und legte den Kugelschreiber weg. »Sie können Sie jetzt mitnehmen. Die Personalien haben wir ja. Wird teuer, die Stulle.«
    Ich verließ das Büro mit Mutter im Schlepptau. Während wir mit der Rolltreppe in den vierten Stock zum Parkhausübergang fuhren, nahm ich sie ins Gebet. Was sie sich dabei gedacht hätte, wie peinlich das sei, wie das überhaupt passiert wäre und so weiter und so fort. Sie schwieg. Erst als sie im Auto saß, merkte ich, dass sie die ganze Zeit lächelte.
    »Also. Warum?«
    »Fahr mich doch einfach nach Hause, mein Junge.«

    Ich fuhr los und lieferte sie mit kreischenden Bremsen am Mierendorffplatz ab. Sie stieg aus, kam aber noch mal zu mir ans Autofenster. Sie drückte mir einen dicken Kuss auf die Stirn und sah nach oben in den dritten Stock. Die Gardine bewegte sich.
    »Hüthchen wollte nicht glauben,

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