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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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dass wir eine Spazierfahrt machen. Jetzt habe ich die Wette gewonnen.«
    Sie drehte sich um und wollte gehen, aber ich hielt sie am Ärmel fest.
    »Willst du mir damit sagen, du hast die verdammte Teewurst nur deshalb geklaut, damit ich dich nach Hause bringe?«
    Sie nickte. »Du bist ja so schwer zu erreichen«, sagte sie. Dann winkte sie mir noch einmal zu und ging ins Haus.

12
    Ich stand am Küchenfenster und hörte den Wetterbericht. Seit fast zwei Monaten hatte es nicht mehr geregnet. Das Hoch hieß Nina und brachte heiße Luft subtropischen Ursprungs nach Europa. Der einzige Trost war, dass wir nicht alleine schwitzten. Es sollten über vierunddreißig Grad werden. In Brandenburg hatten Soldaten auf einem Truppenübungsplatz gezündelt und einen Waldbrand entfacht. Die Ozonwerte stiegen in den roten Bereich.
    Fünf nach sechs waren die Nachrichten beendet. Ich war nackt. Es war warm. Das Fenster stand offen. Ich stand reglos da, einen Becher Kaffee in der Hand, und sah hinaus in einen gepflegten Privatpark, der gerade gewässert wurde. Ich hörte »Zombie« von den Cranberries. Ich hatte mich zu diesem Lied einmal fast in die Ohnmacht gevögelt.
    Es war ein Moment zum Springen. Man müsste nur woanders landen, nicht auf diesem englischen Rasen. Ich schaute nach oben. Der Himmel war fahlblau. Nirgendwo eine Wolke.

    »Mach doch den Krach aus!«
    Sigrun stand in der Tür. Am zurückliegenden Wochenende hatten wir uns in wachem Zustand siebenundzwanzig Minuten gesehen. Das war die Zeit im Badezimmer gewesen. Sie sah verschlafen aus. Ich nahm die Fernbedienung, und schon schallte gedämpft die sonore Stimme eines Nachrichtensprechers durch den Raum. Info-Radio oder Paradiso. Etwas anderes konnte Sigrun morgens nicht ertragen.
    »Willst du zuerst duschen?«, fragte ich sie.
    Statt einer Antwort ging sie wortlos ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu.
    Ich hörte das Wasser laufen und stellte mir vor, wie sie unter dem Strahl stand und sich einseifte mit ihren energischen, Zeit sparenden Bewegungen. Es war wenig Erotik bei dieser Vorstellung im Spiel.
    Chris de Burgh. Jetzt spielten sie tatsächlich Chris de Burgh. Ich machte das Fenster zu und ging ins Gästebad.
     
    Da Marie-Luise sich nicht gemeldet hatte, rief ich sie an. Sie bestellte mich ins Kriminalgericht. Ich nutzte die Gelegenheit, einen Schriftsatz persönlich abzugeben und der neuen Staatsanwältin guten Tag zu sagen. Dann entdeckte ich Marie-Luise auf dem Weg zur Kantine im ersten Stock.
    Sie stand am Ende des Ganges und unterhielt sich mit einem älteren Kollegen, der immer noch nicht begriffen hatte, dass man jenseits der fünfzig langsam beginnt, die Haare etwas kürzer zu tragen. Seine waren grau, kraus und abstehend, allerdings erst unterhalb einer fortgeschrittenen Halbglatze. Er wirkte wie einer dieser schlitzohrigen Mönche, die gerade wieder eine neue List erfunden haben, die Fastenzeit auszutricksen. Doch sein Blick auf Marie-Luise wirkte alles andere als zölibatär. Er dozierte, sie hörte zu, er legte die Hand auf ihren Oberarm, sie quittierte dieses Zeichen väterlicher Zuneigung mit einem zauberhaften, schelmischen
Neigen des Köpfchens. Beide gingen ein paar Schritte und hielten dann wieder an. Der Meister und Margarita, vertieft in juristische Planspiele zur Rettung der Welt.
    Sie sahen mich nicht. Ich schlenderte langsam auf sie zu. Marie-Luise drehte mir den Rücken zu und wagte zarten Widerspruch. Der Mönch schüttelte streng den Kopf.
    »… auf gar keinen Fall. Keinen Fußbreit Boden lassen! Lass dir die Vermögensaufstellung geben, und zieh ihr das letzte Hemd aus. Lern endlich mal, hart zu sein!«
    »Verzeihung«, unterbrach ich die konspirative Unterhaltung.
    Marie-Luise erkannte mich und wurde rot. »Ist ja ein Ding«, sagte sie und klappte nervös den Aktendeckel zu. Aus den Augenwinkeln konnte ich den Namen der Schauspielertochter erkennen.
    »Erst sehen wir uns jahrelang nicht und dann alle zwei Tage. Darf ich vorstellen? Eckhardt Schmiedgen.«
    Schmiedgen brauchte man niemandem vorzustellen. Er hatte sich in den frühen Siebzigern seinen Ruf als Strafverteidiger der verfolgten Linken aufgebaut. Als die internationale Solidarität abbröckelte, machte er bei den Grünen einige Jahre als justizpolitischer Sprecher Furore. Seine Kanzlei lief gut. Nachdem er seinen Ämtern, aber nicht der Partei den Rücken gekehrt hatte, kämpfte er wieder an vorderster Front für die Entrechteten. Für die Enterbten nur, wenn sie ihn

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