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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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»Sie wollte deinen Vater coram publico dazu zwingen, dass er anerkennt, dass ihre Mutter in eurem Haus Zwangsarbeit geleistet hat.«

    Sigrun sah mich mit großen Augen an. »Zwangsarbeit?«, fragte sie. »Was für eine Zwangsarbeit? Die Mädchen haben doch alle ordentliche Verträge.«
    »Nicht diese Mädchen. Das Kindermädchen deines Vaters. Sie war Zwangsarbeiterin. Im Krieg.«
    »Im Krieg«, wiederholte Sigrun. »Und was habe ich damit zu tun?«
    Ich hielt ihr die Manschettenschale gerade noch rechtzeitig unter die Asche. »Ich fürchte, es geht ihr auch gar nicht um dich. Sie will eine Unterschrift von Utz oder von deiner Großmutter. Dann erst wird eine Entschädigung aus dem Stiftungsfonds ausgezahlt.«
    »Oh mein Gott.«
    »Sprich mit deinem Vater. Auf dich hört er. Diese Unterschrift ist doch kein Beinbruch. Sie bekommt ihren Zettel, reist wieder ab, und alles ist in Ordnung.«
    »In Ordnung?«, flüsterte Sigrun heiser. »Es ist Wahlkampf. Unter den zweihundert Gästen heute Abend waren hundertneunundneunzig, die nur darauf warten, mich in der Luft zu zerfetzen. In Ordnung? Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass die Kanzlei meines Vaters nicht so gut läuft? Hast du nicht mitbekommen, dass die letzten großen Klienten wegsterben? Das nennst du in Ordnung?«
    Ich stand auf und zog mich aus. »Ich weiß nicht, warum so eine Unterschrift euch schaden soll. Ihr macht einen Fehler wieder gut. Was Siemens, Mercedes und Krupp geschafft haben, was sogar ein Flick konnte, das könnt ihr doch auch.«
    In dem schwachen Schein des Feuerzeugs sah ich Sigruns Gesicht. Zum ersten Mal, seit ich sie kannte, wirkte es fremd.
    »Du verstehst mich nicht«, sagte sie.
    Plötzlich bekam ich Angst. Um uns. Um das, was wir waren. Zwischen zwei Zügen an der Zigarette schlug sie die Decke weg. Mühsam stellte sie die Beine über die Bettkante und zog ihre Schuhe aus, die sie bis jetzt angelassen hatte.

    »Okay, Prinz Eisenherz. Dann sag mir jetzt, was in dieser Wohnung passiert ist. Den todesmutigen Porsche-Retter können wir ja wohl vergessen.«
    Ich gab ihr eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse und verschwieg nicht, dass ich ihren Vater darüber in Kenntnis gesetzt hatte. Sie stand auf und begann sich auszuziehen. Mittlerweile hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Ich konnte ihre Silhouette vor dem begehbaren Kleiderschrank erkennen und die Schwierigkeiten, die sie hatte, sich aus Kostüm, Bluse, Seidenstrümpfen und Dessous zu winden, ohne die brennende Zigarette aus dem Mund zu nehmen.
    Mein Handy klingelte. Es war Marie-Luise.
    »Sie sitzt gerade neben mir. Ich bringe sie jetzt in ihr Hotel. Können wir uns Montagabend sehen?«
    »Ja«, sagte ich und legte auf.
    »Wer war das?«, fragte Sigrun.
    »Eine Kollegin«, sagte ich. »Milla ist wieder auf freiem Fuß.«
    »Dann wollen wir hoffen, dass sie nicht noch mal nachts hier einsteigt.«
    Sie knipste die Nachttischlampe an und zog eine Schublade auf. Ich erkannte das leise, klickende Geräusch sofort. Sie hatte eine Pistole entsichert.
    »Lass das«, sagte ich.
    Sie schob die Schublade mit einem Knall zu und löschte das Licht. »Du hast mir nicht zu sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. Und ich warne dich. Meine Schublade ist für dich tabu.«
    Wir lagen Seite an Seite, doch wir berührten uns nicht. Im Halbschlaf hörte ich, wie irgendwo ein Hund bellte. Ein Auto angelassen wurde. Ein Feuerzeug klickte, und das Licht biss sich sekundenlang hinter meine geschlossenen Lider. Sigrun rauchte. Eine nach der anderen. Und dann hörte ich, durch schwere Holzbalken und eine Kassettendecke hindurch, Schritte. Auf und ab. Auf und ab. Irgendjemand in diesem Haus konnte genauso wenig
schlafen wie wir. In diesem Zimmer war es die Angst vor der Zukunft, die uns wachhielt. Im Zimmer über uns die vor der Vergangenheit.

16
    Am Montag spürte ich, dass sich etwas verändert hatte.
    Walter nickte mir nur höflich zu und griff dann rasch zum Telefon. Ich nahm zwei Treppenstufen auf einmal. Er hatte offensichtlich Harry alarmiert, der gerade, als ich den Flur erreichte, mein Büro verließ.
    »Guten Morgen!«, rief ich ihm zu.
    Er blieb nicht stehen, sondern machte, dass er Land gewann. Ich beschloss, ihn mir später vorzuknöpfen. Ich schloss die Tür und sah mich genau um. Auf den ersten Blick war alles beim Alten. Aber ich konnte eins und eins zusammenzählen. Harry würde niemals freiwillig kurz vor sieben in der Kanzlei erscheinen. Und erst recht nicht im

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