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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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sich bisher die Mühe gemacht, sie auch nach Stichwörtern zu archivieren.«
    »Zucker? Sahne?«, fragte Ekaterina.
    Ich lehnte ab. »Was haben Sie herausgefunden?«
    Ekaterina rührte einen Löffel Zucker in ihre Teetasse. Dann deutete sie mit ihm auf eine kleine Meldung am unteren linken Rand der Zeitung.… Aufgrund von Aufräumungsarbeiten ist die Prinz-Albrecht-Straße zurzeit nicht passierbar, las ich.
    »Einer meiner Kommilitonen arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität«, sagte Ekaterina. »Er hat herausgefunden, dass es in der Nacht zuvor einen ungewöhnlich heftigen Bombenangriff auf Berlin gegeben hatte. Dabei wurde auch das so genannte Volksgefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße in Mitleidenschaft gezogen. Gut möglich, dass in der allgemeinen Verwirrung die eine oder andere Flucht gelungen ist. Auf keinen Fall dürften dort bis in den darauffolgenden Vormittag Hinrichtungen erfolgt sein.«

    »Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Niemand ist von dort jemals entkommen.«
    Marie-Luise und Ekaterina tauschten einen Blick, aber sie sagten nichts.
    Ich nahm mein Jackett und zog es an.
    »Ihr wollt mir beide einreden, Natalja Tscherednitschenkowa sei, nachdem sie wegen Diebstahls und Hehlerei zum Tode verurteilt wurde, in letzter Sekunde dank eines Bombenhagels aus dem bestbewachten Gestapoknast Berlins geflohen? Das ist absurd. Das ist unmöglich.«
    »Da ist noch etwas«, sagte Ekaterina. »Olga Warschenkowa. Sie hat bei einem Bauern gearbeitet, im Havelland. Vierzig Kilometer außerhalb der Stadt.«
    »Olga ist tot«, sagte ich.
    »Aber der Bauer lebt«, erwiderte Marie-Luise.

20
    Wir nahmen Marie-Luises Wagen, nachdem sie den Porsche gesehen und sich strikt geweigert hatte, mit ihm in ein Bundesland zu fahren, in dem die Arbeitslosenquote über zwanzig Prozent lag.
    Sie fuhr zügig, doch erst bei Döberitz verbreiterte sich die Straße auf vier Spuren. Lkw donnerten an Balkonen und geraniengeschmückten Fenstern vorbei. Den alten Russenkasernen wuchsen die Birken aus den Dächern. Verrammelte Balkons, blinde oder zerschmetterte Scheiben. Einige Gebäude erinnerten an große, alte Villen, und sie trugen ihre halb abgedeckten Dächer mit der stoischen Gleichmut eines verfallenden Denkmals, das nur noch den Tauben als Ruheplatz dient.
    Hinter Nauen begann das Land.
    »Schau mal! Störche!«

    Wir waren jetzt fast dreißig Kilometer von Berlin entfernt. In Ribbeck machten wir an der einzigen bedeutenden Kreuzung des Ortes Halt, weil ein handgemaltes Schild Sülze mit Bratkartoffeln anpries. Marie-Luise parkte den Wagen, nahm die Straßenkarte aus dem Handschuhfach und stieg aus.
    »Ich habe Hunger«, erklärte sie.
    Ich bestellte bei einem gelangweilt und leicht alkoholisiert wirkenden, schmächtigen Mann hinter dem Tresen des Imbisswagens zweimal die Empfehlung des Hauses. Er hatte nicht mehr mit Kundschaft gerechnet und schien uns diesen Auftrag wirklich übel zu nehmen. Marie-Luise stellte sich an einen der beiden wackeligen Stehtische und breitete die Karte aus.
    »Klemmen«, sagte sie. »Das ist sogar auf dieser Karte nur ein Fliegenschiss.«
    Sie zündete sich eine Zigarette an. Sie wirkte nervös. »Noch ein Stück Richtung Brandenburg und dann links nach Retzow.«
    »Der Birnbaum«, sagte ich.
    »Was?«, fragte sie.
    »Dahinten. Der Birnbaum vom alten Ribbeck.«
    Sie sah hoch und lächelte. Über uns zogen ein paar Schwalben ihre Abendrunde.
    »Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand.«
    »Und kam die goldene Herbsteszeit und die Birnen leuchteten weit und breit …«
    »Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl, der von Ribbeck sich beide Taschen voll. Und kam in Pantinen ein Junge daher, so rief er …«
    »… Junge, wiste’n Beer?«
    »… und kam ein Mädel, so rief er: Lütt Dirn …«
    »Zweemal Sülze mit Bratkartoffeln.«
    Die Teller schepperten auf den Tisch, und der kurz vor Feierabend noch so geforderte Koch sah uns kopfschüttelnd an.

    »Ick kann det nich mehr hören.«
    Dann schlurfte er zurück in seinen Wagen und fing unter bösartigem Gepolter mit dem Abwasch an. Marie-Luise prustete in ihre Bratkartoffeln, und auch ich musste lachen. Sie schmeckten gut. Knusprig, frisch, mit viel Zwiebeln und Speck. Auch die Sülze war hervorragend. Als wir fertig waren, beschlossen wir, den Mann aus reiner Freude noch ein wenig zu quälen, und bestellten zwei Kaffee. Dann zahlte ich, und wir nahmen die Plastikbecher und

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