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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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öffnete Sigrun die Tür. Sie sprang auf die Straße, ausgeruht, lächelnd, kompetent bis in die geföhnten Haarspitzen, und ging nach hinten, um den Kofferraum zu öffnen.
    Sigrun trug eine Aluleiter, die ihr von einem Ortsverbandsmitglied geradezu aus den Händen gerissen wurde. Der Türöffner reichte ihr das erste Plakat. Sie hielt es siegessicher hoch, mit ausgestreckten Armen. Eine Gladiatorengeste. Dann stieg sie auf die Leiter, ließ sich Kneifzange und Draht geben, knipste ein Stück ab und befestigte das Plakat am Laternenpfahl.
    Mehr Zukunft! – Sigrun Zernikow.
    Das »von« hatte sie natürlich weggelassen. Es war das bekannteste weggelassene »von« von ganz Berlin.
    »Mehr Zukunft! Was Besseres fällt denen nicht ein.« Dressler drückte widerwillig ein paar Mal auf den Auslöser. »Die Stadt ist bankrott, das Land verrottet, unsere Kinder verblöden, das ist die Gegenwart. Wie soll dann erst die Zukunft aussehen?«
    Die Praktikantin hob die Hand an die Brille und sah Dressler mit einem schwer zu deutenden Ausdruck an. »Sie wählen wohl PDS, was?«
    »Hierher!«, schrien die Kollegen. »Lächeln!«
    »Ich wähle gar nicht.«
    »Damit überlassen Sie das Land den Radikalen«, sagte die Praktikantin. Dressler machte ein paar weitere lustlose Aufnahmen.
    »Die da sind mir radikal genug. Die haben doch alle Dreck am Stecken. Es gibt doch keinen von denen …«
    Er ging ächzend in die Knie, die bewährte Unter-den-Rock-Pose. Ich war froh, dass Sigrun heute kein Kostüm angezogen hatte. Sie trug flache Slipper, eine gebügelte Jeans und ein rosafarbenes Polohemd. Die Haare fielen ihr locker auf die Schultern. Sie sah stark aus. Schön. Zuversichtlich. Und musste sich von so etwas, das sich gerade vor mir im Dreck wälzte, ablichten
lassen. Schnaufend kam der Mann wieder hoch. Mitte fünfzig, übergewichtig, hypertonisch. Freiberufler, von einer der Entlassungswellen der letzten Jahre an Land gespült und gestrandet, eine erbärmliche Existenz.
    »Es gibt keine Ausnahmen«, sagte er.
    Die Praktikantin ging hinüber zu der Journalistengruppe. Sigrun beantwortete nun Fragen zum Wahlprogramm, zu diversen Spendenbetrügereien, die sich allesamt Gott sei Dank in anderen Bundesländern zugetragen hatten, zu Kitaschließungen und Unternehmenssteuersätzen, und sie lächelte und strahlte dabei, ließ allen Schmutz und Dreck an sich abperlen.
    »Auch die hat ihre Leiche im Keller.«
    Dressler sah sich nach seiner Zuhörerin um. Mich hatte er noch immer nicht bemerkt. Stattdessen kam Brettschneider auf ihn zu. Er sah mich sofort und nickte mir zu. Dann stellte er sich neben seinen Fotografen. »Na, alles im Kasten?«
    »Es kotzt mich an, es kotzt mich alles an«, brummte Dressler. »Schau dir die Frau doch mal an. Chronisch ungefickt. Die täte doch alles für einen dicken Schwanz. Wahrscheinlich bläst sie jeden Tag dem Regierenden einen, damit sie nach der Wahl …«
    Ich tippte ihm auf die Schulter, er drehte sich um, und ich traf ihn mit der Faust direkt am Kinn. Er blickte ein wenig erstaunt, dann fiel erst die Kamera aufs Pflaster und anschließend er. Die Journalisten drehten sich um, die Kameras folgten ihrer Blickrichtung und blieben auf mir haften.
    »Joachim!«
    Sigrun bahnte sich einen Weg durch den Pulk. »Was machst du denn hier?«
    Der Fotograf fasste sich ans Kinn und betrachtete ein winziges Blutströpfchen. Dann sah er seine Kamera, die den Sturz ebenso unbeschadet überstanden hatte wie er.
    »Die werden Sie mir bezahlen!«, brüllte er und kam schwankend auf die Beine. »Ich verklage Sie! Schmerzensgeld!«

    Brettschneider half erst seinem Fotografen auf und wandte sich dann an mich. »Das hätten Sie nicht tun dürfen, Herr Vernau. Das nicht.«
    Ich massierte meine rechte Hand. Ein gewisses Oho und Aha verbreitete sich raschelnd unter den Anwesenden.
    »Sie sind der Lebensgefährte von Frau Zernikow?«, fragte ein Rundfunkreporter und hielt auch schon das Mikrofon in meine Richtung.
    Sigrun hakte sich bei mir ein und schob mich in Richtung Wahlkampfmobil. »Das war’s, meine Damen und Herren. Sie haben ja jetzt alle Ihre Geschichte.«
    Hinter uns rief und klickte es. Sigrun riss die Wagentür auf und schubste mich ins Innere. Dann krabbelte sie nach. Sie wollte die Tür schließen, da quetschte sich tatsächlich Dressler dazwischen.
    »Alle haben Dreck am Stecken. Auch du!«, zischte er. Der Wagenöffner und einer der Aufkleberverteiler rissen ihn zurück. Aber er verfügte über ungeahnte

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