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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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haben wir dich aufgenommen, dir alle Türen geöffnet. Du hättest zu meiner Familie gehören können, zur Kanzlei. Warum, Joachim?«
    Ich dachte an Marie-Luise, an Dressler und an das, was geschehen würde, wenn die Angelegenheit nicht sofort geklärt und erledigt würde.
    »Natalja ist nicht tot«, sagte ich. »Sie konnte fliehen. Sie war bei einem Bauern in Brandenburg untergekommen und hat dort das Kriegsende erlebt. Dann kehrte sie zurück in die Ukraine. Heute lebt sie in Kiew.«
    »Das ist nicht wahr.«
    Utz konnte nicht mehr stehen. Er fiel fast auf den Stuhl, der unter dieser plötzlichen Attacke fast zusammenbrach.
    »Alles, was ich will, ist, dass du dich erinnerst.«
    Er schüttelte den Kopf und schloss die Augen. »Das werde ich nicht tun. Meine Erinnerungen gehören mir. Niemand bekommt sie. Die Tür ist verschlossen. Für immer.«
    Ich hätte ihn am liebsten geschüttelt. Sie machten es mir verdammt schwer. Alle Zernikows.
    »Dann wollen wir deinem Erinnerungsvermögen mal ein bisschen auf die Sprünge helfen. Ich habe Beweise, dass Natalja entkommen ist.«
    Utz holte aus irgendeiner seiner Taschen ein Tuch und wischte sich damit über das Gesicht.
    »Beweise?«
    »Ihre Arbeitsbücher.«
    »Soso.« Er steckte das Tuch weg. »Arbeitsbücher. Hast du sie auf dem Flohmarkt aufgetrieben? Oder wird so etwas auf dem Schwarzmarkt verkauft, um unschuldige Menschen zu erpressen?«
    »Ich habe sie bei dem Bauern gefunden, der Natalja damals versteckt hat. ’44/’45, bis Kriegsende.«

    »Ich vermute, dass dieser Bauer kein Großgrundbesitzer ist und sich über jede Art von Zuwendung freut.«
    »Herrgott, Utz! Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Und diese ominöse Tochter mit ihren phantastischen Geschichten ist auch nicht mehr aufgetaucht. Ergo, es geht hier um eine schlichte Erpressung. Deshalb noch einmal: Wie viel?«
    Durch meinen Kopf zuckte eine bis jetzt noch nicht gestellte Frage, die sich die ganze Zeit still und unauffällig im Hintergrund gehalten hatte, um jetzt, im entscheidenden Moment, gestellt zu werden. »Warum würdest du zahlen?«
    Utz stieß ein überraschtes Lachen aus. Er unternahm einen Versuch aufzustehen, um das Gespräch zu beenden, doch ich ließ ihn nicht vorbei.
    »Du warst ein Kind. Zwangsarbeit in Privathaushalten wurde nie strafrechtlich verfolgt. Deine Mutter mag zwar kein Ausbund an Güte gewesen sein, aber auch das ist nichts, das erpressbar macht. Ergo: Warum bist du bereit, so viel für mein Schweigen zu zahlen?«
    Er funkelte mich an. Einen Moment lang schien die Kraft in seinen gebeugten Körper zurückzukehren, und ich befürchtete schon, er würde sich auf mich stürzen. Doch er hielt sich zurück.
    »Weil ich, im Gegensatz zu dir, alles täte, um Schaden von meiner Tochter abzuwenden.«
    »Die Wahlen«, sagte ich und ließ ihn vorbei. Utz zuckte gleichgültig mit den Schultern und schleppte sich zur Tür, um sie zu öffnen.
    »Eine tote alte Frau.«
    Utz griff zur Klinke.
    »Ein dunkler Jaguar. Dienstagnacht in der Meinekestraße. Damit wurde Milla Tscherednitschenkowa vom Hotel abgeholt. Seitdem ist sie verschwunden.«
    Er ließ die Hand von der Klinke sinken.

    »Noch eine Tote?« Ich ging zu ihm hin und flüsterte ihm ins Ohr: »Keine Tür bleibt für immer zu. Ich werde den Schlüssel finden, verlass dich drauf.«
    Ich ging hinüber in die Wohnung und wartete, bis die Wut verebbte. Utz hatte mir mehr bedeutet, als mir bewusst gewesen war. Vielleicht, weil er etwas verkörperte, was ich bei meinem Vater immer vermisst hatte: Zuverlässigkeit und Loyalität. Eine Vaterfigur wie aus dem Bilderbuch, die ich im Handstreich zum Pappkameraden demontiert hatte. Bilderbuchpappvatermörder. Auch bei Utz hatte ich die Angst gerochen. Schwache Väter fürchten nichts so sehr wie ihre Söhne.

23
    Ich hatte nicht viel mitzunehmen. Alles, was ich brauchte, passte in den Dreiersatz Samsonites. Viel problematischer war die Frage, wohin ich mit ihnen gehen sollte. Als ich die Wohnung verließ, überlegte ich einen Moment, ob ich den Schlüsselbund dalassen sollte. Es wäre eine so schöne, endgültige Geste gewesen. Schließlich steckte ich ihn in die Anzugtasche. Es war immer gut, einen Grund zu haben, noch einmal wiederzukommen.
    Noch besser war es, die Porscheschlüssel am Bund zu haben. Die Koffer waren schwer, und vor langer, langer Zeit war ich schließlich auch mit einem Auto hier aufgekreuzt. Quid pro quo.
    Ich brauste die Einfahrt hoch und trat erst im letzten Moment auf die

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