Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
meiner Mutter. Dieser rief Hüthchen auf den Plan, die sich gerade in Eile den Mund vollgestopft hatte und mit dicken Backen aus der Küche kam.
»Vorsicht!«
Hüthchen stieß einen dumpfen Laut aus. Solange sie nicht heruntergeschluckt hatte, behalf sie sich mit Kopfschütteln und ratlosem Händezusammenschlagen.
»Was soll denn das werden?«, fragte meine Mutter.
»Ich ziehe wieder ein«, antwortete ich. Hüthchen vergaß das Kauen, meine Mutter schwieg. Beides zugleich war ein einmaliges Ereignis.
Ich trug die Samsonites in mein altes Zimmer und stieß als Erstes die Fenster auf. Dann öffnete ich den Schrank und dachte bei dem herauswabernden Geruch an Schmiedgen, dann war es nicht mehr so schlimm.
»Was machst du da?«
Die Stimme meiner Mutter überschlug sich fast. Hinter ihr stand Hüthchen und äugte in das Zimmer.
»Ich schaffe ein bisschen Platz«, rief ich. »Wir wollen es doch hier gemütlich haben, wir beide.«
Dabei zwinkerte ich Hüthchen zu. Meine Mutter schüttelte nur den Kopf.
»Das geht nicht. Das – das ist doch viel zu eng hier!«
Ich klopfte auf meine alte Schlafcouch und sah sie prüfend an. »Für ein paar Tage wird es schon klappen, nicht wahr? Wir machen uns eben beide ein bisschen dünn.«
Hüthchen strich sich über die Hüften und wandte ihren Blick zu meiner Mutter. Nun tu doch was, sollte das heißen. Mit zwei Schritten war Mutter am Schrank und nahm einen Arm voll Kleidungsstücke heraus.
»Sie kommt zu mir. Wenn es denn sein muss.«
»Es muss sein.«
Mutter hatte sich schon halb umgedreht. Sie sah mich an, etwas länger, als es sonst ihre Art war. Dann drückte sie Hüthchen wortlos das Bündel vor den Bauch. Die fleißigste aller Haushälterinnen nahm ihre Sachen entgegen und verschwand im Schlafzimmer.
»Bleib, so lange du willst. Das ist immer noch dein Zimmer.« Dann packte sie das nächste Bündel von Kitteln, Hauskleidern und undefinierbaren Bekleidungsmöglichkeiten und verließ den Raum.
»Mutter?«
Sie drehte sich um.
»Danke.«
Sie lächelte unsicher und nickte mir zu. Die Situation war ihr nicht geheuer. Jahrelang hatte sie ihren Sohn vermisst. Jetzt zog er wieder ein. Das war fast zu viel des Guten für sie. Ich nahm mir vor, etwas behutsamer mit ihr umzugehen.
Später saßen wir in der Küche beim Abendessen. Hüthchen hatte eine Büchse Eintopf Pichelsteiner Art geöffnet und zur Feier des Tages drei Teller abgewaschen. Diese ungewohnte Überanstrengung und meine permanente Anwesenheit ohne eine Spur von Aufbruchwillen irritierte sie. Sie saß mir gegenüber und ließ mich nicht aus den Augen. Mutter hatte rechts von mir Platz genommen.
»Wir hatten gar nicht mit dir gerechnet.« Entschuldigend wies sie auf den Teller, in dem allerlei Undefinierbares tierischen und pflanzlichen Ursprungs herumschwamm.
»Ich auch nicht«, antwortete ich. Der Pichelsteiner roch wie nasse Schuhe. Ich schob den Teller zurück.
»Schmeckt es nicht?«, fragte Hüthchen. Wenn sie glaubte, mich aushungern zu können, hatte sie schlechte Karten.
»Ich muss noch mal weg«, sagte ich.
»Jetzt noch?« Mutter warf einen missbilligenden Blick auf die Wanduhr.
Es war halb sieben. Die Freibäder hatten geöffnet, die Geschäfte, die Menschen trafen sich in Biergärten und Gartenlokalen. Aber meine Mutter war der Meinung, ich gehörte ins Bett. Wenn ich mich nicht gleich am Anfang durchsetzte, wäre es mit unserem friedlichen Zusammensein schnell vorbei. Genau in diesem Moment klingelte mein Handy. Ich verzog mich ins Wohnzimmer.
»Vernau«, meldete ich mich. Einen Moment lang blieb es still am anderen Ende der Leitung. Mein Herzschlag begann zu stolpern. Sigrun.
»Hier spricht Aaron von Lehnsfeld. Joachim, sind Sie es?«
Ich bejahte und setzte mich in den Sessel mit der Aufstehhilfe, nicht ohne mich zu vergewissern, ob halbleere Joghurtbecher in den Seiten steckten.
»Die Angelegenheit ist ein wenig heikel. Meine Mutter hat mich gebeten, Sie anzurufen. Sie hat Ihnen vor einiger Zeit etwas geliehen. Ich weiß nicht, um was es sich handelt. Sie möchte es gerne zurückhaben. Bald.«
Es dauerte volle drei Sekunden, bis mir einfiel, von was er redete: der Smaragdring. Es würde um einiges länger dauern, ihn zu finden. Ich wusste nicht mehr, wo ich ihn gelassen hatte.
»Natürlich«, sagte ich. »Nächste Woche?«
»Heute«, antwortete Aaron.
Auf dem Bildschirm des ausgeschalteten Fernsehers sah ich eine Bewegung – meine Mutter spiegelte sich in ihm. Sie stand in der
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