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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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mehrmals umrührte, damit die vollgesogenen Bestandteile sich setzen konnten. Trotzdem blieb beim Trinken immer noch genug übrig, das wie Sägespäne an den Zähnen klebte. Ich beschloss, dass Marie-Luises Privatleben jetzt kein Thema war.
    »Ich habe mit Sigrun gesprochen. Und mit ihrem Vater. Es ist zwecklos. Sie werden niemals etwas öffentlich zugeben. Sie werden weder mit Natalja noch mit Milla, so sie denn noch lebt, Kontakt aufnehmen. Der Fall hat sich somit erledigt.«
    »Und wo sind die Arbeitsbücher?«
    Sie musterte mich scharf.
    »An einem sicheren Ort«, erwiderte ich. Sofern man das unabgeschlossene Handschuhfach sicher nennen konnte. In einem schwarzen Porsche, der in dieser Gegend die herzlichste Einladung zur Wohlstandsumverteilung war. Ich beugte mich kurz zum Fenster und stellte fest, dass er unbeachtet an der gleichen Stelle stand, an der ich ihn abgestellt hatte. Noch.
    »Sauber«, sagte sie. »Du hast die Beweise, und du beschließt auch noch, sie irgendwo verrotten zu lassen. Bist du dir darüber im Klaren, was du gerade tust? 160000 Familien weigern sich bis heute, Wiedergutmachung zu leisten. Familien wie die Zernikows. Politiker mit einer so sauberen Weste wie deine Sigrun.«
    Sie deutete hinaus auf die Laterne auf der anderen Straßenseite. Ich hatte das Plakat noch nicht bemerkt. Zukunft jetzt. Sigrun
Zernikow. Kompliment an die Friedrichshainer Wahlkampfhelfer, das war schnell.
    »Wie wär’s, wenn sie vor der Zukunft mal die Vergangenheit in ihre Gegenwart holt?«
    Ich wollte den Kaffee mit etwas Milch genießbarer machen. Sie stand immer noch in einem kleinen Krug von Hedwig Bollhagen auf der Glasplatte im Kühlschrank. Ich holte ihn heraus und betrachtete wehmütig die abgesprungene Stelle an der Tülle.
    »Es ist nicht ihre Vergangenheit.«
    »Täter zu schützen macht mitschuldig.«
    »Komm schon.« Ich stellte die Kanne ab. »Dir geht es doch nicht um die Wahrheit, stimmt’s? Schuld und Sühne sind dir doch vollkommen egal.«
    »Um was denn sonst?«
    »Du willst mich damit treffen. Ich bin das Ziel. Der Rest sind Kollateralschäden.«
    Sie sah hinaus zu Sigrun. »Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass Rache und Gerechtigkeit denselben Wortstamm haben? Ganz abgesehen davon: Gegen diesen Eisklotz bin ich ein Vulkan. Und ich kenne dich immer noch gut genug. Ich weiß, dass du lieber schmilzt als erfrierst.«
    Sie strahlte mich mit ihrem verführerischsten Lächeln an.
    Ich spuckte einen Kaffeekrümel auf den Boden. »Du wirst mich nicht kriegen.«
    Eine Frau, die mit Schmiedgen schlief, konnte man nur stehen lassen. Wie ein Glas, in das jemand vorher hineingespuckt hatte.
    Ihr Lächeln erlosch. »Du mich auch nicht.«
    Marie-Luise war immer noch siebzehn. Aber das hier war nicht der Pausenhof.
    »Die beiden wissen also von den Büchern. Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis sie dir die Hölle ganz schön heiß machen.«

    »Bereits passiert.« Ich schüttete den Kaffeesatz in den Ausguss und spülte nach, damit Marie-Luise nicht später irgendwelche Zukunftsaussichten herauslesen konnte. »Ich bin gefeuert. Von ihm und von ihr.«
    Sie wandte sich ab und ging ans Fenster. Lange fixierte sie das Plakat. Dann drehte sie sich zu mir um.
    »Diese Frau hat mir zumindest in einem Punkt etwas voraus: Sie bekommt, was sie will. Sie wird dich nicht in Ruhe lassen. Sie wird sich nicht damit zufriedengeben, das Erreichte zu bewahren. Sie will mehr. Sie will niemanden, der ihre Kreise stören könnte.«
    Ich nahm meine Jacke von der Stuhllehne.
    »Wohin willst du?«, fragte sie.
    »Ich melde mich.«
    Unten auf der Straße traf mich die Sonne genau in die Augen. Ich musste blinzeln wie Schmiedgen. Der Libanese öffnete gerade den Laden und schaute zu mir herüber.
    Vielleicht hatte Marie-Luise Recht, und das war alles erst der Anfang. In einem aber irrte sie sich: Sigrun war nicht kalt. Sie kämpfte nur gerade den Kampf ihres Lebens. Und dabei ging es nicht um die Wahlen.

24
    »Du?«
    Meine Mutter verhakelte vor Aufregung die Türkette. »Mit dir habe ich ja gar nicht gerechnet! Was ist denn los?«
    »Darf ich?«
    Drei Koffer hinaufzutransportieren war schwierig genug. Damit in die Wohnung meiner Mutter einzudringen fast ein Ding der Unmöglichkeit. Im Flur stolperte ich über herumliegende einzelne Schuhe, einen zum Trocknen aufgespannten Regenschirm,
und als ich mich endlich an dem völlig überladenen Garderobenständer vorbeigedrückt hatte, fiel er um. Begleitet vom Aufschrei

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