Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Tür und lauschte.
»Tut mir leid, das ist nicht möglich«, erwiderte ich rasch. »Ich habe noch einen Termin. Sagen wir morgen?«
Aaron zögerte. Er war es nicht gewohnt zu verhandeln.
»In Ordnung. Sie können ihn mir gegen achtzehn Uhr in den Tennisclub bringen.«
»Wen?«, fragte ich.
Aaron legte auf. Mutter huschte in den Flur zurück. Es würden
anstrengende Tage hier werden. An Wochen wagte ich nicht zu denken.
Die Zeit bis zum Dunkelwerden verbrachte ich in einem Lokal direkt am Ufer der Spree. Halb elf. Dienstagabend. Ortsverbandssitzung. Sigrun würde nicht zu Hause sein.
Die Villa wurde bis Mitternacht angestrahlt. Die Fensterfront aber war dunkel. Ich holte die Schlüssel heraus und schloss das Tor auf. Langsam, ganz langsam, damit es nicht quietschte, öffnete ich es einen Spalt und zwängte mich hindurch. Ich fühlte mich wie ein Einbrecher, hielt inne, lauschte, aber nichts rührte sich. Ich schloss das Tor und schlich den Weg zu unserer Haustür hoch. Der Kies knirschte, ich stand einige Sekunden regungslos da, dann ging ich die Stufen hoch, öffnete so schnell wie möglich die Tür und schlüpfte in ihre – meine – ihre – Wohnung. Stille.
Schwaches Licht fiel durch das viereckige, vergitterte Fenster der Tür in den Flur. Sofort ging ich zur Kellertreppe. Die Wäsche wurde immer mittwochs abgeholt. Mit viel Glück war der Beutel noch in der Waschküche, wo ich ihn nach der Grunewalder Verlobung hingebracht hatte. Der große Raum lag genau unter dem Wohnzimmer. Die Wände waren mit glasierten Fliesen in einem sanften Beigeton gekachelt. Die Waschbecken waren groß und aus einem keramikähnlichen Material. In den Ecken waren schmiedeeiserne Kaminabzugklappen angebracht – keiner brauchte sie, seit eine Ölzentralheizung eingebaut war. Aber die Klappen waren noch da und auch die schmalen Verbindungskamine, die das ganze Haus durchzogen.
Die Wäschetruhen standen an der Stirnseite. Ich begann zu wühlen, fand aber nichts. Ich suchte in der Bettwäsche, ebenso ergebnislos. Das war nicht gut.
Ich holte mir jeden Schritt, jeden Satz, jede Bewegung ins Gedächtnis zurück. Alles, was ich an jenem Abend zwischen angezogen Ins-Schlafzimmer-Kommen und ausgezogen Im-Bett-Liegen getan hatte. Sigruns Tränen, ihre Zigaretten, die quälende
Verzweiflung, vor der ich sie nicht retten konnte. Ich ging hoch ins Schlafzimmer. Ich wollte gerade das Licht anmachen, da hörte ich das Geräusch. Es kam von der Haustür. Sie wurde leise und behutsam aufgeschlossen. Zu vorsichtig für jemanden, der das Recht hatte, hier hereinzukommen.
Gerade als ich anfing, an eine Sinnestäuschung zu glauben, hörte ich Schritte. Sie kamen vom Flur und führten ins Wohnzimmer. Langsam, kaum hörbar, und definitiv nicht in Eile. Ich tastete mich im Dunkeln zu Sigruns Nachttisch und öffnete die Schublade. Die Pistole.
Ich war erstaunt über das Gewicht der Waffe. Sie war zu groß, um sie in der Innentasche meiner Anzugjacke unterzubringen. Ich behielt sie in der Hand. Jetzt hörte ich leise Stimmen. Sie waren also mindestens zu zweit. Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen.
»Mach das Licht an. Sie ist nicht da.«
Zwei Sekunden später flammte die Deckenlampe an. Die Freifrau saß in ihrem Rollstuhl in der Mitte des Raumes.
»Das Bild da«, sagte sie.
Walter nickte und hob die bis aufs i-Tüpfelchen geglückte Manet-Kopie von der Wand. Dahinter lag unser – Sigruns − Safe.
»Drei-eins-null-sieben-sechs-vier«, befahl die Freifrau. Erstaunlich, was sie wusste und mit welcher Kaltschnäuzigkeit sie dieses Wissen nutzte. Walter öffnete den Safe und sah sie an. Sie nickte ihm zu, und er begann, ihn auszuräumen. Die Aktien und Wertpapiere interessierten sie nicht. Die Schmuckschatulle auch nicht, obwohl sie sie öffnen ließ und den Inhalt inspizierte.
»Ach, meine Perlenkette!«, sagte sie nur einmal, mehr gleichgültig als erfreut. Sie betrachtete die Pässe und ein dünnes Bündel Bargeld, das Sigrun immer im Haus haben wollte, und ließ sich den Umschlag mit Sigruns Testament zeigen. Sie öffnete ihn nicht, sondern tastete ihn sorgfältig ab. Stirnrunzelnd legte sie auch ihn zur Seite.
»Das war alles?«
Walter nickte. Sie stieß einen ärgerlichen Laut aus und gab Walter mit einer Kopfbewegung zu verstehen, die Sachen wieder zurückzulegen.
»Nicht so«, fuhr sie ihn an. »Kante auf Kante. Ordentlich.«
Dann wendete sie ihren Rollstuhl und blieb vor dem
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