Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken
Aufnahme von Signalen unterscheidet sich der Geschmackssinn erheblich von den anderen Sinnen. Sehen und Hören sind passiv: Die Rezeptorzellen empfangen Signale ohne weiteres Zutun. Um jedoch einen Geschmack und sein feines Aroma aufzunehmen und zu erkennen, müssen wir selbst aktiv werden. Schnüffeln, Schlürfen, Schmatzen und Schlucken sind gefordert und natürlich: Kauen. Wer also das Schmecken trainieren möchte, sollte mit dem Kauen beginnen. Probieren Sie es einmal, wenn Sie allein essen: Fernseher aus, Zeitung weg und intensiv hinschmecken. Klingt wie Meditation? Schmeckt aber wie das pure Vergnügen.
Die feinsten Aromen
gibt’s im Internet
Mieze Schindler kann einem das Leben schwer machen. Sie ist einfach zu empfindlich. Kaum berührt man sie, schon wird sie weich. Knabbert man sie an, beginnt sie zu tropfen. An einen Transport ist überhaupt nicht zu denken, dafür schmeckt Mieze himmlisch. Sie ist eine Erdbeere. Otto Schindler, Direktor der Höheren Staatslehranstalt für Gartenbau, hat sie 1925 in Dresden gezüchtet und nach seiner Frau »Mieze« benannt. Mit den Erdbeeren, die heute auf dem Markt sind, hat Mieze kaum etwas gemein.
Da geht es ihr wie Agathe von Klanxbüll, die ihre Existenz einem Bauingenieur verdankt, der einst am Hindenburgdamm nach Sylt mitbaute und bei einer Wirtin namens Agathe Petersen übernachtete. Die sah ihn mit Genuss einen wunderbar duftenden Apfel verspeisen. Dessen Kerne wanderten auf Bitte der Wirtin in einen Blumentopf, der kleine Trieb später in ihren Garten. Und siehe da: Nach einigen Jahren wuchsen daran herrliche rotbackige Äpfel, die bis in den Winter hielten. Bald standen überall in Nordfriedland Agathe-Bäume, einer schaffte es sogar bis in den Garten des Malers Emil Nolde in Seebüll.
Mieze und Agathe findet man heute in keinem Supermarkt, genauso wenig wie das knubbelige Bamberger Hörnchen, das zwar schnelles Kartoffelschälen unmöglich macht, dafür aber wunderbar schmeckt und als beste Sorte für Kartoffelsalat gilt. Oder das leckere Blondköpfchen, das längst einer Gewächshaustomate gewichen ist, die auf gedüngter Glaswolle wächst – ganz ohne Erde und ohne deren Nährstoffe, die sie so dringend gebraucht hätte, um ein anständiges Tomatenaroma aufzubauen. Doch den Züchtern sind andere Kriterien wichtiger. Zum Beispiel, dass die Tomatenscheiben später groß genug sind, um in einen Burger zu passen. So schmeckt die Tomate nach nichts, ist aber schädlingsresistent und sieht gut aus – und das noch nach Transport, Temperaturschwankungen und anderen Strapazen. »Very-long-shelf-life«-Sorten sind im Handel beliebt.
Gutes Aussehen zeichnet auch Zuchtlachse aus. Allerdings stammt ihre appetitlich rosarote Farbe nicht, wie bei ihren Artgenossen in freier Natur, von den Krebsen, die sie gefressen haben. Wo Zuchtlachse leben, gibt es keine Krebse. Stattdessen werden Farbstoffe in die Container geleitet, in denen sie aufwachsen. Ein anderer Futterzusatz – zum Beispiel bei der Hühnerfütterung – ist Fischmehl, das den Eiern einen eigentümlichen Fischgeschmack verleiht. Wenig natürliche Aromen kann sich ein Schwein anfuttern, das statt Gras und Kräutern nur Futtermittel frisst. Sein Schnellmastschinken wird zudem nie einen Kamin von innen erleben, das nötige Raucharoma bekommt das Fleisch allein durch Einreiben mit Geschmacksstoffen.
Wer natürliche Aromen erleben will, geht statt zu einem Discounter lieber auf den Wochenmarkt mit Bauern aus der Umgebung, wo Fleisch und Gemüse noch frisch sind, weil ihnen das Very-long-Lagern erspart bleibt. Am Stand kann man Kräuter kaufen und einmal testen, ob man eigentlich alle Zutaten der Frankfurter Grünen Soße benennen kann, wenn man ein Bund davon in der Hand hat. Oder man kauft sich ein paar gelbe, ein paar grüne und ein paar lilafarbene Tomaten und versucht, die Unterschiede zu schmecken. Lila können auch Kartoffeln und Karotten sein. Die Kartoffeln schmecken nussig und man sollte sie nicht vor dem Kochen schälen, sondern als Pellkartoffeln verwenden, sonst verlieren sie ihre Farbe. Die lila Karotten sind sehr süß und angeblich noch gesünder als andere Rüben.
Außerdem gibt es hierzulande Baumschulen und Züchter für alte Sorten und mancherorts sogar Museen. Die Bundesanstalt für Züchtungsforschung in Dresden, die die Nachfolge des Instituts von Otto Schindler angetreten hat, verfügt über die größte Sammlung alter Sorten. Fast vierhundert Erdbeersorten, über achthundert
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