Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken
eingerieben hatte. Die Tochter startete daraufhin mit ihrer Mutter ein Riechtraining und stellte fest, dass man mit Düften eine Art Gehirnjogging betreiben kann. Wahrscheinlich sind regelmäßige Riechübungen sogar ein viel wirkungsvolleres Training für das Gehirn als Kreuzworträtsel und Sudokus, die immer nur die gleichen Hirnregionen aktivieren. Mit dem Riechen erreicht man ein ganzes Netzwerk von Hirnarealen, vom Hippocampus, der für Erinnerungen und das Gedächtnis zuständig ist, über das Limbische System, wo Emotionen und Stimmungen geprägt werden, bis hin zum Cortex, der verantwortlich ist für Bewusstsein, Aufmerksamkeit und unsere Gedankenwelt. Düfte fördern also nicht nur die Nase, sondern verbessern auch unser Gedächtnis und unsere Denkleistung – ein echter Jungbrunnen!
Von Klöstern und
Kräuterschnäpsen
»Was bitter im Mund, ist im Magen gesund«, verspricht der Volksmund. Nicht umsonst serviert man Campari als Appetitanreger und Kräuterschnaps zur Verdauung. Auf den Magen, auf Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse hat Bitteres einen so positiven Einfluss, dass man sagen kann: Bittere Speisen sind tatsächlich besonders gesund. Kaum zu glauben, denn viele der bitter schmeckenden Substanzen sind von der Natur gar nicht nett gemeint. Ganz im Gegenteil. Durch den bitteren Geschmack von Pflanzen sollen gierige Fressfeinde abgeschreckt werden. Wer sich dennoch weiter bedient, bezahlt im schlimmsten Fall mit dem Leben. Alkaloide wie das Nikotin aus dem Tabak oder das Atropin aus der Tollkirsche gehören zu diesen Stoffen, aber auch Morphin und Codein aus dem Schlafmohn. Das gefürchtete Rattengift Strychnin, das es in der Natur in der Brechnuss gibt, ist für den Menschen lebensgefährlich, und das in grünen Kartoffeln vorkommende Solanin kann Übelkeit und Erbrechen auslösen. Das alles klingt nicht sonderlich appetitlich, geschweige denn gesund. Deshalb schützt uns die Natur mit hochsensiblen Sensoren. Unsere Zunge reagiert tausendmal empfindlicher auf bittere Stoffe als auf Süßes, Salziges oder Saures und hat fünfundzwanzig verschiedene Geschmacksrezeptoren dafür, während für Süßes magere drei Rezeptoren reichen, für sauer und salzig gibt es, so weit man bisher weiß, jeweils sogar nur einen. Schon unsere Gene raten zur Vorsicht, denn die Abneigung für Bitteres ist angeboren. Was dazu führt, dass auch Neugeborene mit Geschrei auf bittere Medizin reagieren und sie reflexartig wieder ausspucken. Genauso beim bitteren Gemüse, mit dem wir den Kindern ja eigentlich nur Gutes tun wollen.
Erst allmählich lernen wir, bittere Speisen zu schätzen. Bittergeschmack kann die Produktion von Speichel steigern und Leber, Gallenblase und Bauchspeicheldrüse stimulieren, die mit der Freisetzung lebensnotwendiger Verdauungssäfte und -enzyme reagieren. Die Motorik im Magen-Darm-Trakt wird beschleunigt und die Fettverbrennung angekurbelt. Bitterstoffe sorgen außerdem dafür, dass Vitamine besser aufgenommen werden. Sie wirken darüber hinaus basisch und reduzieren Übersäuerung, so dass manche Patienten sogar auf Säureblocker verzichten können. Allerdings existiert beim Erwachsenen noch ein Mechanismus, der ihn vor giftigen Bitterstoffen schützt: das Brechzentrum. Es ist die letzte Kontrollinstanz des Körpers, bevor er sich das Fremde einverleibt, und es reagiert prompt: Der Mensch beginnt zu würgen, um sich möglichst schnell wieder von den Giftstoffen zu befreien.
Auf welche Weise Bitterstoffe ihre positive Wirkung auf die Verdauung entfalten, haben Schweizer Wissenschaftler erst vor Kurzem herausgefunden. Der Darm nimmt sie nämlich mit den gleichen Rezeptoren wahr wie die Zunge. Sie konnten einige dieser Geschmacksrezeptoren im Magen- und Darmgewebe nachweisen und glauben, damit die unterschiedliche Wirkung einiger Heilkräuter und Gewürze erklären zu können, die uns seit Beginn der Menschheit begleiten.
Schon aus der Steinzeit ist überliefert, dass Menschen bittere Früchte und Wurzeln erfolgreich gegen allerlei Übel einsetzten. Sie halfen sogar als Wurmkuren – was übrigens bereits Affen wussten. Auch sie griffen zu bitteren Pflanzen, wenn sie von Darmparasiten geplagt waren. Einen Durchbruch erlebten die bitteren Kräuter mit den Klöstern. Allein die Äbtissin Hildegard von Bingen schrieb im 12. Jahrhundert an die zweitausend Rezepturen auf. Besonders beliebt sind bis heute die Kräuterliköre und -schnäpse. Ein Underberg enthält Kräuter aus dreiundvierzig Ländern,
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