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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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unterbrechen, aber Inge ließ sich in ihrer ruhigen Entschlossenheit nicht stören.
    Jetzt kam die Antwort. Der Ton war spöttisch, wenn auch beherrschter: „So, so, Sie wollen sie zu sich nehmen! Und was ist mit dem Heimweh?“
    Da lächelte Inge. Das Lächeln verschönte ihr Gesicht ungemein, so daß es selbst Frau Jespersen nicht entgehen konnte.
    „Ich bin in Ingrids Heimweh einbegriffen, Frau Jespersen. Meine Häuslichkeit – das ist für Ingrid zu Hause. Ist Ihnen das noch nicht aufgegangen?“
    Das hätte Inge nicht sagen sollen.
    Es war unklug. Denn jetzt loderte die Eifersucht in der alten, im Grunde vereinsamten und unglücklichen Frau auf.
    „Aha. Und Sie scheuen sich nicht, das zu sagen? Sie bestärken mich damit nur in meiner Meinung von Ihnen: Sie haben mir Ingrid ganz einfach weggenommen! Ich habe die Reise für sie bezahlt, und Sie kommen an und nehmen sie mir vor der Nase weg! Sie haben…“
    Jetzt unterbrach Inge sie, und aus ihrer Antwort ging ihr ganzer, unbeugsamer Wille hervor: „Gut, Frau Jespersen. Wenn Sie sich zueiner freiwilligen Regelung nicht bereitfinden wollen, dann werde ich um Ingrid kämpfen. Und ich werde siegen! Aber für Sie wird das sehr unangenehm sein!“
    „Ist das eine Drohung?“ fragte Frau Jespersen spöttisch.
    „Ja, so können Sie es ruhig auffassen. Denn ich werde alles einsetzen, damit diesem Mißbrauch, den Sie mit einem hilflosen Kind treiben, ein Riegel vorgeschoben wird. Wissen Sie nicht, Frau Jespersen, was die Ausländerpolizei mit Leuten macht, die ein Pflegekind ausnützen? Wissen Sie, wie die heiteren, gutherzigen, netten Dänen reagieren, wenn sie erfahren, daß ein Kind mit List aus seiner Umgebung und seinem Zuhause herausgerissen wurde und nichtsahnend auf eine unerquickliche Hausgehilfinnenstellung hereinfällt? Wissen Sie, daß es gesetzlich verboten ist, Minderjährigen die Arbeit von Erwachsenen zuzumuten? Sind Sie sich darüber klar, daß Ingrid Ihnen unverzüglich weggenommen wird, wenn Sie mich zwingen, zur Polizei zu gehen, und daß Sie dadurch allerlei Unannehmlichkeiten bekommen und todsicher auch erhebliche Unkosten? Aber wie Sie wollen, Frau Jespersen! Sie können eine billige Abmachung bekommen, wenn Sie vernünftig sind, und Sie werden an meiner Statt mit der Polizei verhandeln müssen, wenn Sie es nicht sind. Bitte, Sie haben die Wahl!“
    Frau Jespersen war blaß geworden. Ihre Augen waren auf Inge geheftet, zuerst wütend, dann verblüfft und zuletzt – ja, zuletzt schien es Inge, als drückten sie Scham und Hilflosigkeit aus. Sie wartete geduldig. Es dauerte eine Minute, es dauerte zwei Minuten. Dann antwortete eine seltsam müde, hoffnungslose Stimme: „Ich habe nicht die Kraft, noch länger mit Ihnen zu streiten. Nehmen Sie meinetwegen die Ingrid zu sich. Auf Ihre eigene Verantwortung. Und das mit den Behörden – das erledigen Sie!“
    „Das erledige ich, ja“, sagte Inge, und ihre Augen glänzten.
    „Und dann werden Sie ja sehen… Sie werden sehen… ob… ob sie sich bei Ihnen wohler fühlt. Sie sind jung – und ich… ich… ja, ich bin ja auch nur eine alte Frauensperson, ich…“
    Agate Jespersens Kopf sank auf die Brust herab. Und miteinemmal hatte Inge Mitleid mit ihr. Arme, alte, glücklose, einsame Frau – das unglückliche Opfer einer schrecklichen Eigenschaft, des Geizes!
    „Ich werde gut zu Ingrid sein“, sagte Inge, und sie merkte zu ihrer eigenen Verwunderung, daß ihre Stimme unsicher klang. „Und… und… vielen Dank!“

Ein glückseliger Brief
     
    Liebe Tante Margrete und Onkel Peter!
     
    Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll! Hier ist so furchtbar viel passiert, und ich muß Euch sehr schnell alles erzählen. Erstens: Ich habe eine neue Adresse! Das heißt, ich habe die alte Adresse wieder, denn jetzt wohne ich bei Inge Skovsgaard, und hier bleibe ich auch wohnen! Ihr könnt Euch gar nicht denken, wie glücklich ich bin! Jetzt, wo ich nicht mehr bei Tante Agate bin, kann ich Euch erzählen, daß ich es da ziemlich schlecht hatte. Inge behauptet, ich wäre dünner geworden in der Zeit dort, und das stimmt sicher, denn meine Kleider sind mir zu weit. Und dann hatte ich fast immer Kopfschmerzen, weil ich nicht genügend frische Luft bekam. Wie Ihr wißt, bin ich mit Inge verreist gewesen. Als ich nach Haus kam, passierte etwas, das ich Euch lieber später mal erzählen werde – ich habe etwas Dummes gemacht. Aber das wurde dann doch mein Glück; denn dadurch merkte Inge, daß ich nicht mehr bei

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