Das kleine Reiseandenken
siehst du – ich will es auch. Vor einem halben Jahr hab ich es ihm versprochen. Aber erst wollte ich noch etwas Bestimmtes erreichen. Ich wollte an dieser Herbstausstellung teilnehmen. Ich wollte zeigen, daß ich etwas kann. Ich wollte nicht meine Arbeit abbrechen, bevor ich sie zu einem Abschluß gebracht hatte. Als wir beide uns in Flensburg trafen, kam ich gerade von einer Studienreise aus dem Ausland zurück. Ich war voller Ideen, und ich hatte bei einem berühmten Professor in Wien Stunden genommen. Sollte ich nun alles hinwerfen und mitten in die Ehe hineinspringen und nur Kartoffeln kochen und Hemden bügeln? Ich schwärme nicht für die Hausarbeit, es ist bedauerlich, aber wahr. Ja, siehst du – da erschien dann dieser Mann. Er wollte mich heiraten. Wir kamen überein, daß wir bis nach der Herbstausstellung warten wollten oder vielleicht einganzes Jahr. Erst wollte ich sehen, ob ich es wirklich zu etwas bringen konnte – ob es sich sozusagen für mich lohnte, mit der Malerei fortzufahren. Und das tut es: Jetzt weiß ich, daß ich es kann. Und Ingrid – nun werde ich heiraten. Denn ich liebe diesen Mann. Ich möchte auch gern Kinder haben. Jetzt aber kann ich meine Zukunft zurechtlegen. Ich kann weiter malen, ich kann es verantworten, ohne zu glauben, daß ich dadurch meine Häuslichkeit vernachlässige. Ich kann malen, ich kann Geld verdienen. Ich kann eine Hausgehilfin bezahlen, ich kann zum Haushalt beitragen mit selbstverdientem Geld. Siehst du, über alles dies wollte ich mit mir erst im reinen sein, ehe ich heirate.“
„Und, Inge – was wird mit mir?“
„Das hab ich doch schon gesagt. Dich kann ich nicht entbehren. Ich denke mir das erst mal so: Wir reisen weg und lassen uns irgendwo in einem gemütlichen, idyllischen Dorf nieder, und ich mache einen Haufen Herbstskizzen. Wir müssen einen Ort finden, wo es schöne Farben gibt, weißt du?“
„Du solltest bloß unser Dorf zu Hause sehen“, warf Ingrid ein.
„Und Weihnachten wollen wir dann heiraten. Und da wollte ich dich fragen, Kind: Willst du bei mir bleiben – bei uns? Bei meinem Mann und mir? Willst du mir ein bißchen im Haushalt zur Hand gehen, willst du mir Modell sitzen, willst du meine Besorgungen machen, kurz und gut, willst du gleichzeitig Haustochter und Modell sein? Natürlich bekommst du Gehalt, und wir werden genau darüber nachdenken, was wir sonst noch für dich tun können. Ob du an Abendkursen teilnehmen oder bei mir bleiben willst, bis du so alt bist, daß du Krankenpflege oder Kinderpflege lernen kannst – oder auch Tierpflege, was du nun willst. Aber vorläufig jedenfalls – könntest du dir eine solche Lösung denken?“ Ingrid hörte zu, mit großen Augen.
„Ja, Inge. Nichts möchte ich lieber als das.“ Sie dachte weiter nach, ihre Augen waren dunkel und fragend.
„Aber, Inge, wo wollen wir denn hinfahren? Und wo ist der Mann?“
Da lächelte Inge und legte ihre Hände auf die Schultern der kleinen Freundin.
„Denk mal nach. Ich hatte gesagt, vor einem halben Jahr hätte ich versprochen, ihn zu heiraten. Du weißt ja, wo ich vor einem halben Jahr gewesen bin?“
Ingrid sperrte die Augen weit auf: „In Deutschland?“
„Ja, in München.“
„Mün… München? Werden wir in – München wohnen?“
„Ja, Ingrid. In einigen Monaten sind wir Landsleute, du und ich.“
„Ach, Inge – ach, Inge!“
„Freust du dich, Ingrid?“
„Inge – ich habe gar nicht gewußt, daß man sich so furchtbar freuen kann!“
„Sollen wir morgen die Fahrkarten bestellen, Ingrid? Und in vierzehn Tagen losfahren?“
„Ja-ja!“
„Und versprichst du mir, daß ihr in eurem Dorf schöne Herbstfarben habt?“
„Ja! Und unser Nachbar kann dir sicher, ganz sicher Zimmer vermieten, denn jetzt sind seine Sommergäste abgereist.“
Ingrid war überwältigt. Inge sollte Onkel Peter und Tante Margrete kennenlernen – die drei Menschen, die sie am allerliebsten hatte, sollten sich kennenlernen. Und Inge würde bestimmt laut vor Wonne schreien und nach Bleistift und Pinsel greifen, wenn die Zwillinge auftauchten, dreckig um die Mäuler, mit wuscheligem Haar und jeder schleppte sich mit seinem Kaninchen ab. Oder wenn Tante Margrete auf dem Hofplatz die Wäsche auf die Leine aufhängte. Dann spielte die Herbstsonne im roten Laub, und sie glänzte auf Tante Margretes braungebrannten Armen und auf ihrem kräftigen Gesicht unter dem grauen Haar…
Hinterher aber kam München. München mit den tausend Möglichkeiten.
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