Das kleine Reiseandenken
seine große, dann auf die kleine Freundin – und er wurde nicht enttäuscht. „Ach, Inge, wie haben wir es gut!“
Ingrid atmete die Luft mit einem langen, glücklichen Seufzer aus. „Ja, mein Liebling. Bei uns ist’s gemütlich. Obwohl ich dich so ausnutze. Fast ebenso schlimm wie deine sogenannte Tante!“
„Ich bin so froh, daß ich dich nicht Tante zu nennen brauche, Inge!“
„Wirklich? Meinst du nicht, ich könnte eigentlich eine ganz brauchbare Tante abgeben?“
Ingrid schaute in ihren Schoß und lächelte mit zitternden Lippen. Sie schwieg. Schwieg so lange, bis Inge sie zuletzt fragte, woran sie denke.
Ingrid blickte wieder hoch, und ihre großen, klaren Augen waren so merkwürdig blank.
„Ich überlege mir“, sagte sie langsam, und ihre Stimme war belegt, „ich überlege mir, daß du… daß du etwas ganz anderes sein kannst als eine Tante – du bist viel mehr…“ Ingrid wurde rot, und das letzte kam nur im Flüsterton: „Du bist wie eine Mutter…“
Froher Abschied aus einem
gastlichen Land
In den großen, lichten Sälen summte es von vielen Stimmen. Die Gemäldeausstellung war gerade eröffnet worden. Vor einem großen Bild standen die Beschauer dicht gedrängt.
„Hiermit hat Ingrid Skovsgaard sich wirklich durchgesetzt“, sagte jemand.
„Es ist das schönste Bild der Ausstellung“, sagte ein anderer.
„Sie muß ja ein entzückendes Modell gehabt haben“, meinte ein dritter.
„Man sehe sich nur den beseelten Ausdruck an“, sagte eine Dame, ebenfalls eine Malerin.
Ein etwas kurzsichtiger, älterer Herr neigte sich näher zum Bild vor und las halblaut: „Da sah sie, daß ihr Fischschwanz fort war, und daß sie die niedlichsten kleinen weißen Beine hatte, die nur ein Mädchen haben kann. Aber sie war nackt, deshalb hüllte sie sich in ihr dichtes, langes Haar ein.“
„Haben Sie ,Das Mädchen und der Pudel’ gesehen? Das müssen Sie sehen. Da hat sie dasselbe Modell gehabt. Ja, und ,Ingrid mit dem Nähkorb’ – doch ja, es ist dieselbe. Ingrid – halt mal eben – Kinder, ich sah sie doch gerade hier mit Fräulein Skovsgaard…“ So wurde geredet und gesummt. Und vor den drei Ingrid-Bildern standen immer viele Menschen. Hinter ihnen verschwanden eine helle, kurzsichtige Dame, ein langes, schlankes Mädchen und ein kleiner, lockiger schwarzer Pudel.
„Du wirst berühmt, Groß Ingrid!“ lächelte das Mädchen. „Wir werden berühmt, Klein Ingrid!“ entgegnete die Dame. Wau! sagte der Pudel, womit er sagen wollte, daß er mit zu dem Begriff „Wir“ gehöre.
„Du bist mein kleiner Talisman“, sagte Inge, „jetzt schwirrt’s mir vor den Augen. Setz dich und hör zu.“ Ingrid legte das Staubtuch aus der Hand.
„Halt dich fest! Du weißt, daß die ,Seejungfrau’ verkauft ist, das hatte ich dir ja erzählt. Zum Glück an ein Museum – ja, Ingrid, wie findest du das? An ein Museum! Ich, Ingrid Skovsgaard, dreißig Jahre alt, werde in einem Museum hängen. Da können wir dann hingehen und es uns angucken, so oft wir wollen. – Jetzt weiter: ,Das Mädchen und der Pudel’ ist verkauft – und heute wollte ein Kunsthändler den ,Nähkorb’ haben. Ich werde wohlhabend, Ingrid – ich habe einen Erfolg gehabt, wie ich ihn mir nie erträumt hätte.“
„Oh, Inge, wie freue ich mich!“
„Was denkst du, was ich tue? Du mußt verstehen: dies ist das Märchen meines Lebens. Und heute kommt nun das Pünktchen auf dem i, darum mußt du dich jetzt mal festhalten: Ich habe ein Stipendium bekommen, Ingrid! Allerdings mit Reisepflicht – aber ich will ja auch reisen. Und ich werde bald reisen!“ Ingrid schluckte einen Kloß hinunter.
„Wie… wie schön für dich, Inge…“
„Für mich? Was meinst du denn, kleiner Dummkopf? Für uns! Du denkst doch nicht etwa, ich reise ohne dich! Glaubst du, ich könnte so ein Modell entbehren – von deinem Knopfnähen und Rocksaumausbessern ganz zu schweigen und…“
„Wohin fahren wir denn, Inge?“
„Ja, mein Herzchen, jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich dir ein Geheimnis verraten muß. Bisher hat sich alles mehr um dich gehandelt als um mich, nicht wahr? Aber jetzt muß ich dir wohl mal ein bißchen von mir erzählen. Siehst du, mein Kind, irgendwo auf dieser Welt sitzt ein Mann und wartet auf mich. Ein Mann, der einen so unglaublichen Geschmack hat, daß er mich gern mag. Ja mehr als das – er hat mich, um es rundheraus zu sagen, lieb – und er will mich heiraten!“
„Und du, Inge?“
„Ja,
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