Das Kloster der Ketzer
werde.«
»Du hast Recht«, pflichtete ihm der Mönch bei, und ein schwaches Schmunzeln huschte über sein Gesicht, als er hinzufügte: »Von einem solchen Treffen kamst du also in jener Nacht, als wir einander im Vorraum der Werkstatt überraschten.«
Sebastian zuckte leicht verlegen die Achseln. »Wir hatten beide unsere Geheimnisse, obwohl Ihr davon eine Menge mehr zu haben scheint als ich. So habt Ihr mir noch immer nicht gesagt, woher Ihr meinen wahren Namen kennt, von wem er Euch verraten worden ist und was es mit Eurer Bekanntschaft mit meinem Vater auf sich hat... um nur einige der Fragen zu nennen, auf die ich gern eine Antwort hätte.«
»Du wirst sie erhalten, Sebastian von Wittgenstein«, versichterte
Bruder Scriptoris und sprach zum ersten Mal seinen vollständigen Namen aus. »Aber führe mich erst einmal an diesen versteckten Ort am Fluss, wo du dich mit deiner Lauretia verabredet hast. Bevor sie kommt, haben wir vielleicht Zeit, dass ich dir die verworrene Geschichte in aller Ruhe erzählen kann.«
»Einverstanden, aber ich werde Euch beim Wort nehmen!«, sagte Sebastian. Er war entschlossen, sich nicht noch einmal auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten zu lassen.
»Das kannst du. Ich werde dir nach bestem Wissen Rede und Antwort stehen, Sebastian«, versicherte Bruder Scriptoris. »Aber erwarte von mir nicht die Lösung aller Fragen...«
DRITTER TEIL
Die uneinnehmbare Festung JULI 1527
1
Die Leuchtkraft des Feuers war so gewaltig, dass es die schwüle, wolkenverhangene Nacht auch noch eine gute Meile vom Kloster entfernt mit seinem Schein erhellte. Und wenn sie zwischen den Bäumen hindurch flussabwärts blickten, konnten Sebastian und Bruder Scriptoris den Eindruck gewinnen, als hätten sich dort unten die dunklen Fluten des Inn in einen glutroten Strom verwandelt. Sie saßen nicht auf jener grasbewachsenen Stelle Ufer, wo sich Sebastian mit Lauretia bei ihren nächtlichen Treffen niedergelassen hatte, sondern sie hatten wegen des hellen Feuerscheins sicherheitshalber einen Platz weiter oben am Waldrand gewählt, wo man sie auch vom anderen Ufer aus nicht entdecken konnte. Denn sie konnten jetzt nicht vorsichtig genug sein und wollten ihr Glück nicht über Gebühr auf die Probe stellen.
»So, jetzt gilt es, Euer Wort einzulösen!«, forderte Sebastian den Mönch auf. »Ich höre!«
Bruder Scriptoris atmete tief durch. »Tja, wo soll ich anfangen?«, fragte er sich selbst.
»Am besten damit, woher Ihr meinen Namen kennt«, schlug Sebastian vor.
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Nein, das hieße das Pferd von hinten aufzäumen. Beginnen wir besser mit der Geschichte, wie ich deinen Vater kennen lernte und von ihm erfuhr, dass er einen Sohn in der Nähe von Passau bei seiner Schwägerin zurückgelassen hatte.«
»Gisa von Berbeck war meine Tante?«, stieß Sebastian überrascht hervor.
»Ja, sie war die ältere Schwester deiner Mutter, die das große Unglück traf, bei deiner Geburt während einer stürmischen Winternacht zu sterben«, teilte ihm Bruder Scriptoris mit. »Ein schwerer Schicksalsschlag für deinen Vater, der sich die Schuld daran gab, dass seine Frau Margarete ihre Niederkunft nicht überlebte – und nicht ganz zu Unrecht. Denn dein Vater, der damals ein junger Mann war und nach eigenem Eingeständnis auch zu einer gewissen Sorglosigkeit und Leichtlebigkeit neigte, glaubte seiner Frau in jenen Tagen nicht, dass ihre Zeit schon gekommen war. Der Tag ihrer Niederkunft hätte nach Berechnung der Hebamme ja auch erst in einigen Wochen sein sollen. Und so feierte er weiter mit seinen Freunden, die damals in seinem Haus zu Gast waren. Als in jener Nacht dann doch die Wehen einsetzten, verhinderte der eisige Sturm, dass die Hebamme noch rechtzeitig bei deiner Mutter eintraf. Obwohl nicht sicher ist, ob sie deine Mutter hätte retten können.«
Erschüttert von der Geschichte, saß Sebastian an den Baum gelehnt und kämpfte mit den Tränen, unfähig, ein Wort herauszubringen. Irgendwie hatte er in den vergangenen Monaten immer noch gehofft, eines Tages nicht nur seinem leiblichen Vater, sondern auch seiner Mutter gegenüberzustehen. Und nun erfuhr er, dass seine Geburt ihr den Tod gebracht hatte.
Tröstend legte ihm der Mönch seine Hand auf die Schulter und schwieg eine Weile, wohl weil er wusste, dass Sebastian diese traurige Nachricht erst einmal verwinden musste, um sich auf das Weitere, das er ihm mitzuteilen hatte, konzentrieren zu können.
»Dein Vater und deine
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