Das Kloster der Ketzer
was aus dir wird. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um für deine Sicherheit zu sorgen – und mit Gottes Beistand vielleicht dabei zu helfen, deinen Vater zu retten.«
»Ihr wisst, wer mein Vater ist?«, fragte Sebastian aufgeregt.
»Ja, wir kennen uns und schätzen einander.«
»Sagt, wer ist mein Vater? Und wie heiße ich wirklich mit Nachnamen?«, bedrängte Sebastian ihn sofort.
»Nicht jetzt! Habe noch ein wenig Geduld, bis wir in Sicherheit sind und Zeit für ein langes Gespräch haben!«
»Nur seinen Namen! Bitte!«, flehte Sebastian inständig und griff nach seinem Arm.
Der Mönch, der seinen Fuß schon auf die unterste Steinstufe gesetzt hatte, zögerte kurz. Dann wandte er sich zu ihm um. »Also gut, ich werde dir seinen Namen nennen. Aber versprich, dass du dann erst einmal Ruhe gibst.«
»Ihr habt mein Wort!«, versprach Sebastian und sein Herz schlug wie wild. Jetzt würde er endlich erfahren, wie er wirklich hieß und wer sein leiblicher Vater war!
»Der Name deines Vaters ist Ekkehard von Wittgenstein«, eröffnete ihm Bruder Scriptoris. »Er ist der zwei Jahre jüngere Bruder des Domherrn Tassilo von Wittgenstein!«
23
Wild lodernder Flammenschein zerriss die tiefe Finsternis der Nacht über der Abtei und tauchte den weiten Klosterhof in ein gespenstisches Licht, das bis zur dichten Wolkendecke aufzusteigen schien, als wollten die Flammen auch noch den Himmel in Brand setzen. Aus den Unterkünften liefen die Mönche und Konversen unter wildem Geschrei zusammen. Die ersten hatten sich schon mit Eimern bewehrt und schöpften Wasser aus den Brunnen, während andere eine Kette bildeten,
um die vollen Eimer weiterzureichen, das Wasser ins Feuer zu schleudern und vor allem zu verhindern, dass der Brand durch Funkenflug auf die Wirtschaftsgebäude bei der Pforte überspringen konnte. Denn dass die einstige Kornmühle nicht mehr zu retten war und unweigerlich bis auf ihre Grundfesten niederbrennen würde, für diese Gewissheit genügte schon ein einziger Blick auf die Flammen, die nicht nur aus den Fenstern schossen, sondern inzwischen auch schon aus dem Dachstuhl loderten und unter donnerndem Prasseln ihr Werk der Vernichtung verrichteten.
Alle Augen waren auf das Feuer gerichtet. Niemand bemerkte bei dem Tumult auf dem Klosterhof die beiden schemenhaften Gestalten, die hinter der Abteikirche auftauchten, hastig den kleinen Hang zum Obsthain erklommen und sich im Schutz der hinteren Bäume und der Klostermauer in Richtung der Baustelle schlichen, wo mit dem Wiederaufbau des Gästehauses und einem Teil der schon vor Monaten niedergebrannten Stallungen begonnen worden war.
Sebastian vergaß für einen kurzen Moment die schockierende Nachricht, dass sein leiblicher Vater der Bruder des Domherrn war, und blieb unwillkürlich stehen, als er zwischen den Bäumen hindurch auf das lichterloh brennende Fachwerkhaus blickte. Er schauderte, als er daran dachte, dass er und Bruder Scriptoris nur dank der Geistesgegenwart des Mönches und des geheimen unterirdischen Ganges dem scheinbar unabwendbaren Tod dort in den tobenden Flammen entkommen waren.
»Los, weiter!«, flüsterte Bruder Scriptoris und zupfte ihn am Kuttenärmel. »Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun!«
Sebastian löste sich von dem ebenso entsetzlichen wie faszinierenden Bild, das die fürchterliche Naturgewalt des Feuers in die Nacht malte. Er folgte dem Mönch und schlüpfte mit
ihm wenige Augenblicke später durch das Balkengerüst, das mit dem Holz aus Dornfelds Sägemühle an der oberen Brandstelle mittlerweile errichtet worden war. Von dort über die halb eingestürzte Mauer ins Freie zu gelangen stellte keine Schwierigkeit dar. Zwar hatte man indessen die Trümmer weggeräumt, jedoch noch nicht damit begonnen, die Lücke wieder zu schließen.
Der Mönch wollte zur Landstraße hoch, doch Sebastian zog ihn hinter ein hohes Gebüsch, um ihm von Lauretia und ihrem vereinbarten Treffen an der einsamen Uferstelle jenseits des kleinen Wäldchens zu berichten.
»Ich möchte sie nicht verpassen«, fügte Sebastian noch hinzu. »Zudem sind wir dort erst einmal sicherer als auf der Landstraße. Das Feuer ist bestimmt meilenweit zu sehen, und womöglich würden wir auf Bauersleute von den umliegenden Gehöften stoßen, die Hilfe leisten oder sich den Brand nicht entgehen lassen wollen. Und zwei Kuttenträger, die sich eiligst in die andere Richtung davonmachen, könnten dann sehr leicht Argwohn erwecken und zum Gerede
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