Das Kloster der Ketzer
gedämpfter Stimme, als fürchtete er, an diesem ihm unheimlichen Ort allzu sehr die Stimme zu heben.
»Nein, die einstige Abzweigung zum Flussufer ist nicht mehr begehbar und wohl schon vor langer Zeit eingestürzt«, teilte ihm der Mönch mit. »Wir nehmen den Hauptgang, der in einem der Kellergewölbe des Konventshauses endet. Als das Kloster vor gut hundertzwanzig Jahren gebaut wurde, hat man offenbar noch von dem unterirdischen Gang gewusst und ihn in die Errichtung des Gebäudes miteinbezogen. Aber später muss er dann in Vergessenheit geraten sein.«
»Und wie habt Ihr davon erfahren?«
»Als ich hierher kam, befand sich die Bibliothek in einem äu ßerst desolaten Zustand. Als ich mich ihrer annahm und Ordnung in das Chaos brachte, stieß ich auf eine alte Kiste, in der sich allerlei Papiere befanden«, berichtete Bruder Scriptoris, während sie dem feuchten Gang folgten. »Das meiste davon ohne jeden Wert. Doch in einem alten Hauswirtschaftsbuch fand ich vor dem hinteren Deckel einen Teil der einstigen Baupläne des Rittergutes. Und dort war der Geheimgang eingezeichnet.«
»Der Euch natürlich sehr nützlich war, um sich nachts unbemerkt vom Konventshaus in die Druckerei zu schleichen und dort Eurer geheimen Tätigkeit als Drucker lutherischer Schriften nachzugehen«, folgerte Sebastian.
»Ich würde sie nicht lutherische Schriften nennen, sondern Aufrufe zu einer wahrhaft christlichen Gesinnung«, erwiderte der Mönch. »Denn nicht alles, was Luther anprangert und in der römisch-katholischen Kirche verändert sehen wollte, ist ketzerisch und völlig neues Gedankengut. Es gab Jahrhunderte währende Zeiten, da hätte er mit einem Großteil seiner heute so umstürzlerisch anmutenden Forderungen eigentlich nur das beschrieben, was in der Kirche ganz selbstverständlich gelehrt und gelebt wurde. Erst als die Stellvertreter Christi in Rom und die Bischöfe anderswo auch zu immer mehr weltlicher Macht gelangten und darüber ihren wahren göttlichen Auftrag immer mehr vernachlässigten, schlugen die Herrschenden in der Kirche einen unseligen Kurs ein, der zu den vielen Missständen und dem schändlichen Machtmissbrauch führten, die Luthers Aufbegehren und im Zuge der unglücklich verlaufenden Auseinandersetzungen mit Rom dann letztlich die Kirchenspaltung zur Folge gehabt haben. Nein, ich sehe mich trotz allem, was ich geschrieben und getan habe, noch immer als treuen Diener der römisch-katholischen Kirche. Sie ist nicht vom Teufel und vom Antichrist geleitet, wie Luther in seiner Vorliebe für Übertreibungen gern wettert, sondern sie ist krank an einigen Gliedern und bedarf mutiger Reformen. Aber darüber können wir gern an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit reden. Wir sind jetzt nämlich gleich am Ende des Gangs, und dann heißt es, höchst wachsam zu sein. Wir müssen damit rechnen, dass der Portarius oder irgendein anderer das Feuer inzwischen bemerkt und Alarm geschlagen hat!«
»Und wann sagt Ihr mir, wieso und von wem Ihr wisst, dass ich nicht Laurentius, sondern Sebastian heiße?«, wollte Sebastian wissen.
»Wenn wir in Sicherheit sind und die nötige Zeit dafür haben. Denn das ist eine längere Geschichte«, gab Bruder Sriptoris zur Antwort.
Im nächsten Moment hatten sie die alte, bröckelnde Steintreppe erreicht, die aus dem unterirdischen Gang hinauf in eines der Kellergewölbe des Konventshauses führte.
»Wartet!«, raunte Sebastian und hielt den Mönch an der Schulter zurück. »Ihr habt mir noch nicht gesagt, was nun werden soll! Habe ich Euch vorhin recht verstanden, dass Ihr nicht vorhabt, zu Euren Mitbrüdern zurückzukehren?«
»So ist es. Was hier geschehen ist, hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass dieses Kloster nicht länger der Ort ist, wo Gott mich haben will. Nicht, dass ich schon Pläne hätte, wohin mich mein Lebensweg führen soll. Aber ich vertraue darauf, dass der Allmächtige mich schon richtig leiten wird, so wie er es stets getan hat.«
»Und was wird aus dem Prior? Wollt Ihr ihn ungestraft davonkommen lassen, nachdem er zwei Eurer Mitbrüder kaltblütig ermordet hat und uns im Feuer umkommen lassen wollte?«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Es gibt mehr als nur irdische Gerechtigkeit. Sulpicius wird seiner Strafe nicht entgehen. Ich werde dafür sorgen, dass Abt Adelphus, Bruder Vitus und Bruder Eusebius von allem Kenntnis erhalten und die Tage des Priors hier im Kloster gezählt sind«, versicherte der Mönch. »Aber viel wichtiger ist,
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