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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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nächsten Morgen schon wieder abgereist war – und der so großes Interesse an ihm gezeigt, ihm Sagen und Märchen vorgelesen und sich auch anderweitig mit ihm beschäftigt hatte, als wäre er in Kinder vernarrt. »Nannte er sich Johannes Richling?«
    Der Mönch nickte. »Das war in der Tat der falsche Name, den er auf seinen Reisen zu dir benutzte«, bestätigte er. »Aber in den letzten Jahren war die Gefahr einer zufälligen Entdeckung zu groß geworden, so dass er sich gezwungen sah, von weiteren Besuchen abzusehen, allein schon zu deinem Schutz. Und glaube mir, er hat sehr darunter gelitten.«
    Eine ganze Weile überließ Sebastian sich der aufwühlenden Erkenntnis, dass er seinen Vater sehr wohl kannte und er bei seinen Besuchen auf Erlenhof viele Stunden mit ihm verbracht hatte, von deren Kostbarkeit er nichts geahnt hatte. Schließlich jedoch drängten sich wieder andere Fragen in seine Gedanken.
    »Aber dann habt Ihr Euch doch von Luther abgewandt und seid hierher nach Passau ins Kloster geflüchtet«, gab Sebastian ihm nach einer Weile das Stichwort für die Fortsetzung seiner
Lebensgeschichte, die mit der seines Vaters und irgendwie wohl auch mit der seines Onkels väterlicherseits, des Domherrn Tassilo von Wittgenstein, verbunden war.
    Dem Mönch entfuhr ein leiser Seufzer. »Ja, ich sah keine andere Wahl, weil ich mit Luthers zunehmender Radikalität nicht einverstanden war. So etwa mit der Auflösung der Klöster, die nicht selten unter Gewaltanwendung betrieben wurde, und mit der kompromisslosen Lehre, allein auf dem Ehestand und nicht auf dem monastischen Leben ruhe göttlicher Segen. Dies und anderes konnte ich nicht gutheißen. Es widersprach meinem Selbstverständnis und dem, was in der Heiligen Schrift zur Ehelosigkeit geschrieben steht. Hätte Luther jedem die freie Wahl gelassen und dem Mönchstum in seiner Lehre einen angemessenen, ehrenvollen Platz gelassen, wäre meine Entscheidung gewiss anders ausgefallen. So aber musste ich mir ein neues Kloster suchen. Und da ein Studienfreund gute Beziehungen zu Abt Adelphus unterhielt und dieser mir großherzig Aufnahme in seinem Konvent anbot, kam ich in dieses Kloster.«
    »Weiß der Abt um Eure... nun ja, gewisse Sympathien für zumindest einige von Luthers Lehren?«
    Bruder Scriptoris nickte. »Wir haben zwar nie völlig offen darüber geredet, aber dennoch weiß ich, dass auch er eine Reform unserer Kirche und ihrer geistlichen Führer für längst überfällig hält. Nicht von ungefähr hat er seine Mönche bei der Disputation Luthers Lehren in aller Deutlichkeit ausgesetzt. Und dass er dabei ausgerechnet mir die Rolle des Luther gab, ist auch sehr durchdacht gewesen, wusste er doch, dass kein anderer der Mitbrüder sich die Mühe gemacht hätte, Luthers Reformansätzen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch wenn er mit ihnen vertraut gewesen wäre.«
    »Jetzt verstehe ich vieles besser, was Euch betrifft«, sagte Sebastian. Allerdings konnte er seine Ungeduld nun nicht
länger bezähmen und wollte endlich zum Kern des Geheimnisses kommen, das Ansgar und Elmar den Tod gekostet und ihn in größte Lebensgefahr gebracht hatte. »Aber jetzt offenbart mir endlich, wer Euch gesagt hat, wer ich wirklich bin, was mit meinem Vater ist und warum mein eigener Onkel mich verfolgt und einkerkern will!«
    »Leider wird dich meine Antwort auf den ersten Teil deiner Frage nicht zufrieden stellen«, erwiderte Bruder Scriptoris. »Ich habe ein anonymes Schreiben erhalten, in dem man mich über deine wahre Identität unterrichtet und mich um deines Vaters willen gebeten hat, mich deiner anzunehmen und im Notfall für deine Sicherheit zu sorgen, sollten die Häscher des Domherrn auch hinter unseren Klostermauern nach dir suchen.«
    Sebastian runzelte die Stirn. »Ein anonymes Schreiben? Das kann Euch nur der Kapuzenmann gesandt haben!«
    Nun war es an Bruder Scriptoris, verblüfft zu sein und um Erklärung zu bitten.
    Sebastian erzählte ihm in groben Zügen, was sich auf Erlenhof ereignet, wie Lauretia ihm das Leben gerettet und was der Kapuzenmann für ihn getan hatte. Zum Schluss fragte er: »Und Ihr seid diesem mysteriösen Fremden nicht begegnet?«
    Der Mönch schüttelte den Kopf. »Das Schreiben gelangte zu mir über meinen Vertrauten, den Buchhändler Burkhard Felberstätt, den übrigens auch eine Freundschaft mit Leonius Seeböck und deinem Vater verbindet. Eigentlich hätte ich den Brief schon am Tag deiner Ankunft bei uns im Kloster in Händen haben

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