Das Kloster der Ketzer
breitschultrige, hoch gewachsene Gestalt in dunkler Kleidung erblickte, die in diesem Moment aus einer Tür in den Abend hinaustrat. Es war Hubertus Haberstroh, der Vollstrecker des weltlichen Gerichtes, der auch die Aufsicht über den Folterknecht und dessen Tätigkeit bei den peinsamen Befragungen der Tortur ausübte!
»Achtung, der Scharfrichter!«, zischte sie Sebastian warnend zu, während das Eisengitter aufschwang und den Scharnieren dabei ein schrilles, metallisches Quietschen entfuhr.
Sebastian erstarrte für einen Moment. Der Schweiß brach ihm aus. Würde der Henker Argwohn schöpfen, zu ihnen herüberkommen und ihren Plan so kurz vor dem Ziel vereiteln?
Indessen hatte der Scharfrichter auch sie bemerkt und im Schritt inne gehalten. Sein prüfender Blick ging von einem zum anderen, als wollte er sich vergewissern, dass alles seine Ordnung hatte.
Sebastian würgte es in der Kehle, hatte er doch den Eindruck, als würde der Domherr dem Scharfrichter beschwörende Blicke zuwerfen, um ihm die stumme Botschaft zukommen lassen, dass die ihn begleitenden Männer ihn zur Geisel genommen hatten und nichts so war, wie es den Anschein hatte.
Aber dann verbeugte sich der Scharfrichter ehrerbietend in Tassilos Richtung, wandte sich ab und ging zügigen Schrittes zum Hauptplatz weiter.
Sebastian stieß dem Domherrn unter dem Umhang den Dolch ein wenig stärker in die Seite, um ihn daran zu erinnern, was er zu tun hatte und was ihm drohte, wenn er nicht Folge leistete.
Tassilo gab sich geschlagen. »Nun kommt schon!«, knurrte er, und wie abgesprochen forderte er auch Lauretia und Bruder Scriptoris auf, ihm hinunter zu den Kerkern zu folgen. »Es
kann euch nicht schaden, zu sehen, was einem blüht, der sich gegen unsere Gesetze stellt und sich von ketzerischen Lehren verführen lässt!«
Die beiden einfachen Wachsoldaten stellten keine Fragen und ließen sie wortlos passieren. Einen so mächtigen Mann wie Tassilo von Wittgenstein nach dem Grund für seinen späten Besuch zu fragen, stand ihnen nicht zu. Und vermutlich interessierte es sie auch gar nicht. Sie nahmen ihr Gespräch sofort wieder auf, als der Domherr, auf Sebastian gestützt, an ihnen vorbeihumpelte, gefolgt von Lauretia und dem Mönch.
Hinter einem kurzen Gang führte eine breite Steintreppe mit rundgewölbter Decke in die Tiefe. Der Treppengang war breit genug, dass auf ihm auch drei ausgewachsene, mit Waffen bewehrte Männer Seite an Seite Platz hatten. Jeweils zwei Öllampen in eisernen Fassungen, deren Dochte auf Sparflamme heruntergedreht waren und die am oberen und unteren Ende der Treppen an den Wänden hingen, spendeten einen sehr dürftigen Schein. Sie warfen gerade mal kleine Pfützen aus gelblichem Licht auf die Stufen.
Nach einem Knick ging es noch einmal gut zweieinhalb Dutzend Stufen hinunter. An deren Ende standen sie in einem Raum, der in etwa zehn Schritte im Quadrat maß. Von dort zweigten vier schmalere Gänge ab, die zu den Zellen führen mussten. Auf der rechten Seite des Vorraumes drang ihnen aus einer offen stehenden Tür, die zur Wachstube gehörte, ein bedeutend helleres Licht entgegen.
»Keinen Fehler jetzt!«, mahnte Sebastian den Domherrn leise. Das Wissen, seinem Vater nun zum Greifen nah gekommen zu sein, ließ sein Herz vor Aufregung und Sorge rasen.
Lauretia und Scriptoris hielten sich dicht hinter ihnen, nicht weniger angespannt als Sebastian und bereit, sofort zur Waffe zu greifen, sollte es zu einem Zwischenfall kommen, der
nur mit der Klinge zu ihren Gunsten entschieden werden konnte.
Als sie zur Tür der Wachstube kamen, sahen sie, dass der korpulente, kurzbeinige Zellenwärter dort in einer Ecke in einem alten, zerkratzten Scherensessel saß und fest schlief. Die in faltigen Stiefeln steckenden Beine hatte er auf eine Kiste gelegt. Ein blubberndes Schnarchen ließ seine dicken Lippen in einem gleichmäßigen Rhythmus flattern.
Bruder Scriptoris trat in die Wachstube, sah sich schnell um und rief dann. »He, du da! … Aufgewacht, Bursche!« Er trat grob gegen den Stuhl.
Der Wärter schreckte aus dem Schlaf, riss verstört die Augen auf und fuhr dann wie von einem Katapult geschossen aus dem Stuhl hoch, als er den Domherrn in der Tür stehen sah.
»Verzeiht, hochwohlgeborener Herr von Wittgenstein!«, stieß er mit ängstlicher Unterwürfigkeit hervor und machte eine so tiefe Verbeugung, dass nicht viel gefehlt hätte und er wäre vornüber gestürzt.
»Bring mir die Schlüssel zu den Zellen der beiden
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