Das Kloster der Ketzer
wecken, wenn sie zu sechst wieder auf den Hof hinaustraten, war einfach zu groß. Tassilo musste zurückbleiben, das war ihnen von Anfang an klar gewesen. Dieses Risiko meinten sie jedoch eingehen zu können, weil Ekkehard nicht nur von gleicher Statur wie sein Bruder war, sondern von den Gesichtszügen her auch starke Ähnlichkeit mit ihm aufwies. Eine Ähnlichkeit, die noch frappierender in Tassilos herrschaftlicher Kleidung ausfiel, zumal es jetzt draußen inzwischen dunkel sein musste.
»Ich kann es noch immer nicht glauben, dass ich nicht nur freikommen soll, sondern meine Freiheit keinem anderen als meinem Sohn verdanke, den ich schon für verloren hielt«, sagte Ekkehard aufgewühlt und wischte sich Tränen aus den Augen.
»Ohne den Mut und die Hilfe meiner beiden Freunde wäre deine Befreiung nicht mehr als ein frommer Wunsch gewesen«, stellte Sebastian mit dankbarem Blick auf seine treuen Gefährten klar. »Sie haben es möglich gemacht und ihr Leben für dich aufs Spiel gesetzt.«
»Mein guter Bruder Scriptoris! Wie sehr habe ich unsere Gespräche bei Leonius Seeböck geschätzt. Ihr habt mir in Wittenberg gefehlt. Aber dass ich Euch noch einmal sehen würde und dann auch noch als einen meiner Retter, all das kommt mir noch immer wie ein Traum vor, von dem ich gleich zu erwachen fürchte.« Ekkehard von Wittgenstein packte die Rechte des Klosterbruders mit beiden Händen und schüttelte sie bewegt.
Der Mönch, der sich soeben noch einmal versichert hatte, dass die Knebel und Fesseln bei Tassilo und dem Wärter fest saßen, erwiderte den herzlichen Händedruck. »Gottes Wege sind fürwahr oft rätselhaft«, sagte er.
Ekkehard wandte sich nun an Lauretia, um auch ihr für ihren Mut gebührend zu danken. »Und auch bei dir, junger Mann, werde ich ewig in der Schuld stehen für das, was du für mich gewagt hast. Möge der Allmächtige immer seine gütige, schützende Hand über dich halten. Und verzeih mir, wenn ich dich bitte, mir noch einmal deinen Namen zu nennen. Denn im Aufruhr meiner Gefühle vorhin habe ich ihn gar nicht richtig mitbekommen.«
»Der junge Mann ist eine junge Frau, Vater«, sagte Sebastian da vergnügt und konnte im Überschwang seiner Gefühle nicht an sich halten, noch mit zärtlichem Stolz hinzuzufügen: »Und zwar die wunderbarste Frau auf Erden, der mein Herz gehört und die meine Gefühle mit derselben Kraft erwidert.«
Sprachlos sah Ekkehard sie an.
»Lauretia ist mein Name«, sagte sie mit einem fröhlichen, gewinnenden Lächeln.
»Eine junge Frau und solch ein Mut!«, stieß Ekkehard fassungslos hervor und schloss sie spontan in seine Arme.
»Nun genug der Worte!«, mahnte Bruder Scriptoris. »Später wird noch viel Zeit sein, um der Freude Ausdruck zu geben
und über alles ausführlich zu reden. Jetzt sollten wir jedoch keine Minute länger vertrödeln, sondern tunlichst zusehen, dass wir mit heiler Haut aus dem Kerker und aus der Festung kommen.«
»Bruder Scriptoris hat Recht«, pflichtete ihm Sebastian bei, den ebenfalls die Unruhe gepackt hatte. Denn noch hing über ihrer aller Leben das Damoklesschwert. »Nichts wie hoch zur Kutsche. Und du, Vater, denk daran, dich auf mich zu stützen und zu humpeln!«
»Gewiss, gewiss!«, versicherte Ekkehard hastig und rückte den Domherrenhut auf seinem Kopf so zurecht, dass ein Großteil seines Gesichts im Schatten lag.
Sie traten aus der Wachstube und blieben schon im nächsten Moment wie von einem Bannstrahl getroffen stehen.
Auf einer der letzten Stufen vor dem Treppenabsatz stand die große, kantige Gestalt des Scharfrichters Hubertus Haberstroh. Und das unruhig brennende Licht der Lampen zu beiden Seiten funkelte auf der breiten, blank gezogenen Klinge in seiner geübten Schwerthand!
11
So tief unten im Berg herrschte in den Verließen auch zur heißesten Jahreszeit eine stets gleich bleibende Kühle. Nun jedoch schien es Sebastian, als strömte eisige Kälte durch die steinernen Mauern. Sie drang ihm durch Mark und Bein und lähmte ihn. Gleichzeitig jagten sich die Gedanken hinter seiner Stirn. Sie waren zu viert und drei von ihnen waren mit Dolch und Degen bewaffnet. Aber auch wenn die Chancen gut
standen, den Scharfrichter gemeinsam überwältigen zu können, so würde dieser ihnen doch kaum ein stummes Gefecht liefern. Den Kampfeslärm und das Geschrei, das er ohne Zweifel ausstoßen würde, um die Wachen oben am Eingang zu alarmieren, würden sie nicht verhindern können. Und bevor die Wachen ihm zu Hilfe
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