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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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zusätzliche Schmerzen auslösten. Überall stieß er auf sein eigenes Blut. Es hatte seine Haare verklebt, bedeckte seine linke Gesichtshälfte und war ihm am Hals entlang unter die Kleidung gelaufen. Nach der Wunde zu tasten, wo ihm der Pfeil in der Brust steckte, wagte er erst gar nicht. Die Schmerzen, die von dort kamen, waren auch so kaum zu ertragen.
    Er versuchte, sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht. Ihm fehlte die Kraft, und die Schmerzen, die durch seinen Körper fluteten, raubten ihm fast das Bewusstsein. Doch er wollte nicht hier am Rand des Moorsees liegen bleiben, sich aufgeben und auf den Tod warten. Und so zwang er sich, durch das Gras zu kriechen und nach seinen Kameraden zu suchen. Das war das Mindeste, was er ihnen schuldig war.
    Nur ganz langsam und mit vielen Pausen gelangte er vorwärts. Auf Elmar stieß er zuerst. Der einstige Verwalter vom
Erlenhof lag mit verrenkten Gliedern rücklings im Moorgras und starrte mit leblosen Augen in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Nicht weit von ihm entfernt lag der Leichnam von Ansgar. Beide hatten sie an diesem schaurigen, einsamen Ort den Tod gefunden, hatten für ihn, Sebastian, ihr Leben gelassen, obwohl er gar kein richtiger von Berbeck war.
    Er schrie seine Verzweiflung und sein ohnmächtiges Aufbegehren gegen das bittere Schicksal in die Nacht hinaus. Ein langer gellender Schrei, der schließlich in Stöhnen und Wimmern überging.
    Keuchend wand er sich weiter durch Gras und Gestrüpp – ohne zu wissen, wohin ihn sein armseliges Kriechen bringen sollte und was es überhaupt noch für einen Sinn machte, sich für ein paar wenige Körperlängen abzuquälen, wo doch das nächste Dorf ohne Pferd Stunden entfernt lag – und das auch nur, wenn man gut zu Fuß war. Er aber vermochte nicht einmal auf die Beine zu kommen! Er war verdammt, hier im Moor zu sterben!
    Plötzlich stießen seine Hände auf etwas. Er packte zu, zog den Gegenstand zu sich und betastete ihn. Es war die alte Ledertasche, in der sich die Geldbörse und die Reisebibel befanden, die sie auf Geheiß seiner Mutter unbedingt hatten mitnehmen müssen – und die er wie seinen eigenen Augapfel hüten sollte.
    »Ja, Mutter, das werde ich!«, schluchzte er, und Tränen füllten seine Augen. Kraftlos fiel sein Kopf auf die Ledertasche mit der Bibel, deren Bedeutung ihm ebenso unerschlossen bleiben würde wie seine wahre Herkunft und die Hintergründe, die einen Domherrn wie Tassilo von Wittgenstein veranlasst hatten, ihn festnehmen und einkerkern zu wollen. Keines dieser Geheimnisse würde sich für ihn auflösen. Denn er würde hier oben im Hochmoor einsam sein Leben aushauchen.
Wer immer die Frau sein mochte, die ihm das Leben geschenkt hatte, für ihn gab es nur einen geliebten Menschen, den sein Herz als Mutter anerkannte. Das war Gisa von Berbeck. Und mit diesem Gedanken versank er erneut in den bodenlosen Abgrund der Ohnmacht.

6
    Wie lange er dort so gelegen hatte, wusste er hinterher nicht zu sagen. Irgendwann brachte ihn jedoch heftiges Gezerre an seinem linken Bein wieder zu sich. Stöhnend versuchte er sich der unbekannten Kraft, die an ihm zog und zerrte, zu erwehren.
    »Jesus, Maria und Josef!«, hörte er im selben Moment eine Stimme hervorstoßen, während sein Bein wieder ins Gras zurück fiel. »Du lebst ja noch!«
    Die Stimme kam Sebastian irgendwie bekannt vor. »Wer … bist... du?«, brachte er mühsam hervor.
    »Lukas... der Bote!«
    Eine schwache Hoffnung auf Rettung regte sich in Sebastian und mit großer Kraftanstrengung rollte er sich auf den Rücken. Der Himmel hatte sich aufgeklart und heller Mondschein lag nun über der Moorlandschaft. »Lukas? … Dich hat... der Himmel geschickt!«, keuchte er unter Schmerzen.
    Lukas sah das offenbar ganz anders. Er gab einen lästerlichen Fluch von sich. »Das hat mir ja noch gefehlt!«, stieß er grimmig hervor. »Mit Leichen kenne ich mich aus, aber zum Wundarzt tauge ich nicht! Beim Blut der Märtyrer, was soll ich jetzt nur machen?«

    »Lass mich nicht… hier sterben!«, wimmerte Sebastian. »Bring mich... zu einem Arzt!«
    Lukas gab erneut einen unterdrückten Fluch von sich. »Arzt? Hältst du mich vielleicht für einen Zauberer, der Wunder wirken kann? Hier gibt es meilenweit keinen Arzt, Bursche! Verdammt, ich hätte mich besser beherrschen sollen...! Jetzt habe ich den Schlamassel!«
    »Bitte, bring mich... von hier weg!«, flehte Sebastian. »In Gottes Namen, lass mich... nicht zurück!«
    »Du hast gut reden!

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