Das Kloster der Ketzer
ihn herabblickte.
»Lukas? … Wo bin ich?«, flüsterte er mit schwacher, kaum vernehmlicher Stimme.
»Meister Dornfeld!«, rief Lukas aufgeregt und wandte den Kopf in Richtung der hellen, quadratischen Öffnung, die hinter ihm in der nachtschwarzen Wand klaffte. »Er ist zu sich gekommen! Ich wette, er kommt doch durch!«
»Und darüber sollen wir uns freuen? Du bist mir ein wahrer Tölpel!«
»Wieso?«
»Weil der Teufel ein Meister der Heimtücke ist und bestimmt seine Gründe hat, warum er den Kerl vom Erlenhof diesmal noch verschmäht!«, antwortete ihm eine barsche Stimme von jenseits der lichten Öffnung. »Und wenn du mich fragst, will der Teufel, dass dieser Bursche da uns das Leben sauer
macht und wir uns auch noch in dem Netz des Domherrn verfangen!«
Sebastian wusste nicht, warum ihm trotz der bleiernen Schwere, die ihn noch immer erfüllte, nach Lachen zumute war. Es geschah einfach, dass sich ein Lächeln auf sein Gesicht legte. Dann fielen ihm auch schon wieder die Augen zu und er sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
8
Mit einem zusätzlichen, kleinen Strohsack im Rücken saß Sebastian am nächsten Morgen aufrecht im Bett und löffelte den Haferbrei, den Lukas ihm gebracht hatte, mit gro ßem Hunger aus der hölzernen Schüssel.
»Schmeckt es?«, fragte Lukas. Er saß ihm gegenüber auf einem dreibeinigen Schemel neben der kleinen Fensterluke und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Bretterwand der Kammer. Er trug wieder sein breitkrempiges, mit Hahnenfedern geschmücktes Barett. Darunter kam kastanienfarbenes Haar zum Vorschein, das ihm glatt bis über die Ohren reichte.
»Mhm«, machte Sebastian mit vollem Mund und nickte nachdrücklich.
»Ich habe heimlich noch einen kräftigen Schuss Honig unter den Brei gerührt, als Gertrud mal kurz aus der Küche musste. Hätte sie mich dabei erwischt, hätte sie bestimmt darauf gedrungen, dass Meister Dornfeld es mir von meinem Lohn abzieht. Sie ist nämlich so geizig wie nur was!«
Sebastian warf ihm einen dankbaren Blick zu, denn den
köstlichen Honig schmeckte er deutlich aus dem Brei heraus, und aß weiter, während Lukas still auf seinem Schemel saß und ihm dabei zusah. Als sein größter Hunger gestillt war, nahm er sich Zeit, seine Umgebung zum ersten Mal einer genauen Musterung zu unterziehen. Und das war schnell geschehen, denn viel gab es nicht zu sehen.
Die schmale Kammer maß vielleicht knappe vier Schritte in der Länge und kaum halb so viel in der Breite. Die Wände bestanden aus rauen, unbearbeiteten Brettern, an denen sich hier und da noch Baumrinde fand. Man konnte sich schnell einen Splitter unter die Haut jagen, wenn man gedankenlos mit der Hand über die Bretter fuhr. Die Balkendecke hing niedrig, und als Fenster diente eine einfache Bretterluke, die auf einen umzäunten Hof hinausging. Auf der Wandseite gegenüber der Luke stand in einer Ecke die Bettstelle, deren klobiges Gestell mit Stricken bespannt war. Ein mit Stroh und Laub gefüllter Sack diente als Matratze und in den Decken hing unverkennbarer Stallgeruch.
Am Fußende des Bettes füllte eine primitive Kiste mit einem dicken Vorhängeschloss die Ecke links von der schmalen Tür fast völlig aus. In Ermangelung eines Tisches oder hölzernen Wandbordes übernahm der glatte Kistendeckel diese Funktion. Auf ihm fanden sich ein Wasserkrug und ein Becher, beides aus braunem Steingut, sowie eine verbeulte Blechschüssel. Des Weiteren gab es noch drei Nägel, die gut daumenlang rechts von der Tür aus der Bretterwand ragten und bei denen es sich um Kleiderhaken handelte. An einem der Nägel hing sein Umhang.
»Sag mal, wo bin ich hier überhaupt?«, fragte Sebastian und setzte die Schüssel ab, als er sich plötzlich des rhythmischen Ratterns, Schäumens, Hämmerns und Sägens bewusst wurde, das von jenseits der Bretterwand kam und ihm merkwürdig
fremd und vertraut zugleich erschien. »Was ist das für ein Lärm? Und wohin hast du mich gebracht?«
»Nach Passau in die Sägemühle von Meister Haimo Dornfeld«, teilte Lukas ihm mit, ohne den langen Kienspan aus dem Mund zu nehmen, auf dem er kaute. »Und der Lärm kommt vom Mühlrad, den schweren Zahnrädern und den Sägeblättern, die im Sägegatter stecken und wohl gerade einen Baumstamm in einen Haufen Bretter verwandeln.«
»Ist dieser Haimo Dornfeld dein Meister, der dich zu uns nach Erlenhof geschickt hat?«, wollte Sebastian wissen, und augenblicklich stürzte eine Flut beklemmender Bilder, Fragen und Gedanken
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