Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
Vom Netzwerk:
gefesselt und angepflockt mitten auf dem Erlenhof . Bewaffnete Schergen standen um ihn herum, alle mit plattnasigen Gesichtern und mit hochgereckten Degen, über deren Klingen unaufhörlich Blut floss. Und hinter ihnen saß auf einer Sänfte, die einem Thron mit Baldachin ähnelte und von vier riesenhaften schneeweißen Schimmeln getragen wurde, ein Mann in den edlen Gewändern eines Domherrn. Doch dort, wo bei einem sterblichen Menschen Augen, Nase und Mund waren, klaffte ein dunkles Loch wie ein nächtlicher Moorsee. Rechts und links vom Portal des Gutshofes baumelten die an den Beinen aufgehängten Leichen von Elmar und Ansgar.
    Dann wieder befand er sich im Hochmoor. Gerade noch rechtzeitig vertrieben Lukas und ein hochgewachsener, schwarzer Kapuzenmann mit dem Kreuz eines Jahrmarktringers die heimtückische, greisenhafte Klauenfrau, als diese ihn in einem Sumpf ertränken wollte. Lukas kreuzte mit ihr die Klinge. Sie focht von Flammen umzüngelt wie der Leibhaftige, doch der Botenjunge parierte jeden Schlag, und als er sie schließlich mitten in die Brust traf, nahm die tödlich getroffene Alte wie durch Hexerei die Gestalt einer Krähe an und flog mit höhnischem Geschrei davon. Dabei wurden ihre Flügel mit jedem Schlag größer, bis sie den ganzen Himmel bedeckten und das Licht mit ihrem Gefieder erstickten.
    Der geheimnisvolle schwarze Kapuzenmann, der plötzlich an der Seite des Boten auftauchte, besaß wie der Domherr kein Gesicht. Aber Sebastian konnte zumindest ein Paar Augen ausmachen. Wie eisblaue Kugeln schwebten sie in der rabenschwarzen Öffnung der weit vorhängenden Kapuze.
    Die Finsternis um ihn herum wich urplötzlich einer blendenden Helligkeit. Weit und breit weder Wald noch Moorlandschaft noch Anzeichen des Gutshofes. Er lag rücklings auf
einem wild wogenden Flammenmeer, das ihn zu verzehren drohte. Eine Welle unerträglichen Schmerzes folgte auf die andere, während er hinauf in den blauen Himmel starrte, über den endlose Reihen von schwer bewaffneten Schergen auf pferdförmigen Wolken dahinflogen. Dann zerbarst der Himmel wie eine dünne Eisdecke, unter der ein tintenschwarzer Mahlstrom floss, dessen Strudel jegliches Licht an sich rissen und es in ihren Fluten ertränkten.
    Eine Zeit lang schien die Welt nur aus unergründlicher Finsternis und glühenden Schmerzen zu bestehen. Aber dann legte sich etwas herrlich Kühles auf sein brennendes Gesicht, nässte seine Lippen und erlöste ihn von seinem quälenden Durst.
    Hin und wieder leuchtete warmer Kerzenschein in der Nacht auf, die ihn umfing. Rhythmische Laute, die wie eine Mischung aus Rattern, Hämmern und Rauschen klangen, drangen an sein Ohr. Auch Stimmen ließen sich gelegentlich vernehmen. Manchmal waren sie von weicher, besänftigender Natur und er schmeckte etwas Warmes, Süßliches auf seiner Zunge. Dann wieder schwollen die Stimmen zu grimmigen und ungeduldigen Litaneien an, ohne dass sich ihm der Sinn der Worte eröffnete.
    Plötzlich jedoch war ihm, als löste er sich aus der gedankenleeren Tiefe der Nacht und stieg einem Licht entgegen, hoch über ihm. Es zog ihn an wie einen nach Atem ringenden Taucher, der vom Grund eines tiefen Bergsees zur rettenden Oberfläche empor schwamm.
    Noch fehlte ihm die Kraft, die Augen zu öffnen, doch die Stimmen erreichten ihn jetzt nicht nur als unverständliche Laute, sondern die gesprochenen Worte ergaben nun auch einen zusammenhängenden Sinn.
    »Ich kann nicht! Und bist du nicht gut bezahlt worden? Also gib endlich Ruhe, Lukas!«

    »Warum könnt Ihr nicht darüber sprechen und macht daraus so ein Geheimnis?«
    »Weil es besser ist, wenn es so bleibt, wie es jetzt ist! Und damit Schluss mit der sinnlosen Diskussion! Geh endlich wieder zu ihm zurück! Du hast ihn mir ins Haus geschleppt, also kümmere dich gefälligst auch weiter um ihn! … Was? … Wie lange noch? … Herrgott, das weiß ich doch auch nicht! … Wenn der Kerl durchkommt, wird man mich schon wissen lassen, was mit ihm geschehen soll! Vermutlich wäre es besser, wenn er es nicht schafft, aber das liegt nicht in unserer Hand. Also halte mich nicht länger mit deinen nutzlosen Fragen auf, sondern tu deine Arbeit!«
    Holz schlug gegen Holz, und Sebastian kämpfte gegen die unsichtbare Kraft an, die ihn wieder hinunter in die schwarze Tiefe ziehen wollte. Seine Lider zuckten und im nächsten Moment schlug er die Augen auf. Er blinzelte in den gelblichen Schein einer Kerze und erkannte das Gesicht, das oberhalb der Flamme auf

Weitere Kostenlose Bücher