Das Kloster der Ketzer
auf ihn ein, die ihm die Luft zu rauben drohten – insbesondere die Sorge um seine todkranke Mutter.
»Niemand ist mein Meister! Weder Haimo Dornfeld noch sonst jemand!«, erwiderte Lukas unerwartet schroff und zurechtweisend, als hätte Sebastian ihn mit seiner Frage beleidigt. »Ich bin mein eigener Herr und kann tun und lassen, was ich will! Niemand macht mir Vorschriften!«
Nie und nimmer hätte Sebastian auf seine harmlose Frage eine solch hitzige Zurechtweisung erwartet. Er musste bei Lukas einen höchst empfindlichen Punkt getroffen haben.
»Schon gut!«, sagte er hastig beschwichtigend. »Das will ich dir ja auch alles gern glauben. Ich dachte nur...«
Lukas fiel ihm ins Wort. »In gewisser Weise arbeite ich schon für Meister Dornfeld«, räumte er ein. »Aber nicht so wie sein unterwürfiger Schwiegersohn Andreas und der stumpfsinnige Muskelprotz Ludwig, sein anderer Geselle, die beide unter seiner Knute stehen. Ich gehe ihm nur manchmal zur Hand, indem ich Gelegenheitsarbeiten für ihn erledige. Oft fahre ich auch eine Ladung Bretter und Balken für ihn aus. Dafür habe ich bei ihm freie Kost und Logis, kann aber sonst meiner eigenen Wege gehen.«
»Das geht mich ja auch nichts an«, versicherte Sebastian, wunderte sich im Stillen jedoch schon, dass Lukas eine feste Arbeitsstelle ablehnte und ein solch ungewöhnliches Abkommen mit dem Besitzer der Sägemühle hatte schließen können. Aber er zügelte seine Neugier und sagte stattdessen, was er eigentlich längst hätte sagen müssen, wie ihm plötzlich schuldbewusst in den Sinn kam: »Du hast mir das Leben gerettet, Lukas Mahlberg. Und ich habe dir noch gar nicht dafür gedankt! So will ich es denn jetzt tun. Danke für alles, was du für mich getan hast. Ich werde für immer in deiner Schuld stehen, Lukas!«
Dieser machte eine etwas linkische, abwinkende Geste. »Ach was, mir schuldest du keinen großen Dank. Außerdem sorge ich schon dafür, dass ich auf meine Kosten komme.«
»Doch, ich bin dir mehr schuldig, als ich dir sagen kann! Wenn du mich im Moor hättest liegen lassen, so hätte ich die Nacht gewiss nicht überlebt!«, beharrte Sebastian.
»Dass du deinen schweren Verletzungen nicht schon in der ersten Nacht erlegen bist, verdankst du nicht mir, sondern dieser alten Hebamme Irmund in Kreutersroth, die sich im Gasthof Zum wilden Eber sogleich um dich gekümmert hat«, stellte Lukas mit nüchterner Stimme klar. »Denn dorthin habe ich dich im Morgengrauen vor acht Tagen gebracht, weil du es bis nach Passau nie und nimmer lebend geschafft hättest.«
Ein ungläubiger Ausdruck trat auf Sebastians Gesicht. »Was sagst du da? Acht Tage ist das her?«
Lukas nickte. »Ja, und es hat böse um dich ausgesehen. Du warst die ersten Tage dem Tod näher als dem Leben. Aber du musst ungewöhnlich zäh sein, dass du ihm dann doch noch von der Schippe gesprungen bist. Du kannst übrigens deinem Schutzengel und insbesondere dem lausigen Schmied danken,
der die Pfeilspitze gefertigt hat, die dir in die Brust gedrungen ist.«
»Wieso denn das?«
»Weil der Bursche schlechte Arbeit geleistet oder minderwertiges Eisen verwendet hat. Vielleicht trifft sogar beides zu«, teilte ihm Lukas mit. »Jedenfalls ist der vordere Teil der Pfeilspitze abgebrochen, als er eine deiner Rippen getroffen hat. Daher ist er dir nicht allzu tief in die Brust gedrungen, sondern seitlich abgelenkt worden. Es war zwar immer noch lebensgefährlich genug, aber wenn dir der Pfeil glatt durch die Rippen gegangen wäre, wärst du schon tot gewesen, als ich bei dir aufgetaucht bin.«
Sebastian lagen ein Dutzend Fragen und mehr auf der Zunge, und er wusste nicht, welche er davon zuerst stellen sollte. Gleichzeitig spürte er, wie die Müdigkeit wieder zurückkehrte und ihm die Glieder schwer wurden. »Was hast du da oben im Hochmoor überhaupt zu schaffen gehabt?«, wollte er wissen, obwohl er einen Teil der Antwort schon zu ahnen glaubte.
Lukas zögerte sichtlich, dann zuckte er die Achseln. »Als wir uns an der Weggabelung trennten, habe ich erst mal am Waldsaum eine Rast eingelegt, um zu überlegen, was ich tun sollte. Als dann die Kutsche des Domherrn und seine Männer aufgetaucht sind, bin ich ihnen kurz entschlossen in sicherer Entfernung gefolgt, um zu sehen, was passiert. Ich hatte einfach nichts Besseres zu tun. Vor dem Morgengrauen hätte ich ja nicht in die Stadt zurückgekonnt, weil die Tore doch erst bei Sonnenaufgang wieder geöffnet werden. Und wie der Zufall es
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