Das Kloster der Ketzer
der Bevölkerung, ungeachtet ihres Glaubens, der bei seinen Eltern nun wirklich über jeden Verdacht erhaben war!
Lukas warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Aber irgendetwas muss ja schon dran sein, sonst würde doch ein so hoher Herr wie dieser Tassilo von Wittgenstein nicht über eine Familie wie die eure herfallen.«
»Nichts ist dran!«, erwiderte Sebastian heftig und machte eine abrupte Handbewegung, die er besser unterlassen hätte. Denn sofort schoss ihm ein glühender Schmerz durch die Brust und trieb ihm die Tränen in die Augen.
»Reg dich nicht so auf! Ich will dir ja glauben!«, besänftigte Lukas ihn. »Mich interessiert es auch nicht wirklich. Und wenn man so sieht, wie diese feinen Kanoniker und die Herren Bischöfe, die gleichzeitig weltliche Fürsten sind wie unser Herzog Ernst von Bayern, in Saus und Braus von ihren Pfründen leben, sich Mätressen halten und uns einfachen Leuten Gehorsam, Armut und Demut predigen, dann kann man schon sehr leicht auf so manch ketzerischen Gedanken kommen. Aber wie gesagt, ich kümmere mich lieber um meine eigenen Angelegenheiten und die machen mir das Leben schon schwer genug. Nur hätte ich doch ganz gern gewusst, wofür genau ich meinen Hals riskiere, wenn herauskommen sollte, dass ich dir geholfen habe.«
»Ich schwöre, ich weiß es nicht!«, beteuerte Sebastian. »Ich weiß auch nicht, warum der Domherr mich in seine Gewalt bringen will. Doch was ich mit Gewissheit sagen kann, ist, dass dieses Gerede von Ketzerei so haltlos ist wie nur irgendetwas!«
»Ist vielleicht auch besser so, dass du mir dazu nichts sagen kannst, sonst würde ich mir wohl noch mehr Sorgen machen, als ich es jetzt schon tue«, meinte Lukas und erhob sich. »Übrigens brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du Meister Dornfeld kein einziges Mal zu Gesicht bekommst, solange du dich hier versteckt hältst. Er hat Angst, der Domherr könnte ihm etwas anhängen. Und wenn man dich durch einen dummen Zufall doch bei uns finden sollte, will er mit reinem Gewissen sagen können, dass er dich noch nie gesehen hat. Denn das hier ist meine Kammer und meine Bettstelle, und ich bin dann der Geleimte, wenn etwas schief läuft.«
»Und wo schläfst du?«, fragte Sebastian verlegen, denn ihm fiel jetzt zum ersten Mal ein, dass Lukas ja sein Bett für ihn hatte räumen müssen.
»Im Stall bei meinem Pferd.«
»Das tut mir Leid.«
Lukas verzog das Gesicht. »Ist nicht das erste Mal, dass ich so unbequem liege. Und vielleicht springt dafür ja ein extra Silberstück für mich heraus«, erwiderte er mit einem fragenden Unterton.
»Ganz bestimmt!«, versprach Sebastian und wechselte schnell das Thema. »Aber noch mal zu dem Kapuzenmann und meinem widerwilligen Gastgeber. Der Fremde muss irgendetwas gegen ihn in der Hand haben, dass er trotz aller Angst doch auf dessen Verlangen eingegangen ist!«
Lukas warf ihm einen spöttischen Blick zu, als hätte er etwas nicht gerade Geistreiches von sich gegeben. »Ja, das liegt wohl auf der Hand. Aber was soll uns das kümmern, solange du deine Wunden hier in aller Ruhe auskurieren kannst und für jeden von uns etwas von dem kleinen Geldsegen abfällt, den du mitgebracht hast.« Er grinste dabei, als machte er sich über ihn lustig. »So, und jetzt muss ich mein Pferd vom Hufschmied
holen. Mein Rufus hatte ein Eisen verloren. Bis später dann.«
Sebastian blickte ihm nach und grübelte noch lange darüber nach, was ihn so an Lukas irritierte und nicht recht zusammenpasste. Es war nicht die derbe Abgebrühtheit und auch nicht die geschäftstüchtige Art, mit der Lukas offenbar alles anging. Es war etwas ganz anderes, eher Kleinigkeiten, die sein Unterbewusstsein verwirrten und misstrauisch machten. Und plötzlich gab sein Gedächtnis das Bild in aller Schärfe frei, das bisher wie hinter einer Nebelwand versteckt gewesen war.
Es traf ihn wie ein Schlag vor den Kopf, als er alles durchschaute. Lukas war ein ausgemachter Lügner und nicht der, der er zu sein vorgab!
9
Aufgekratzt kam Lukas am nächsten Morgen zu Sebastian in die Kammer. »Heute musst du den Brei mal ohne viel Honig essen. Gertrud hat mich beim Anrühren nicht aus den Augen gelassen. Ich glaube, sie hat einen Verdacht. Aber dafür bringe ich dir etwas anderes mit, was sie besser auch nicht erfährt, und zwar das hier!«, sagte er mit einem schelmisch stolzen Lächeln, reichte ihm die Holzschale mit dem Brei und zog dann einen Apfel unter seinem Wams hervor. »Einer der letzten Dornfelder
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