Das Kloster der Ketzer
bringen, damit dieser das für sie erledigte. Doch Sebastian entschied sich, es lieber bleiben zu lassen.
»Wofür der ganze Aufwand?«, sagte er. »Und womöglich wird man misstrauisch und stellt dir Fragen, wie du an die Bibel gekommen bist und warum du nicht den passenden Schlüssel für die Schlösser hast. Das ist die ganze Sache nicht wert. Denn nach einer wirklich kostbaren Bibel sieht sie mir nun wahrlich nicht aus.«
Zwar bestanden die Deckel aus Kupferblech, das schon von grüner Patina überzogen war, wiesen aber nur einige wenige Ornamente rund um das Kreuz auf dem vorderen Deckel auf. Zudem zeigten die Buchseiten an den Außenkanten zahlreiche
hässliche Stockflecken, die auf eine nachlässige Lagerung in feuchter Umgebung schließen ließen, und waren stellenweise sogar wurmstichig.
»Wer weiß, was meine Mutter bewogen hat, darauf zu bestehen, dass wir sie unbedingt mitnehmen«, sagte Sebastian schließlich achselzuckend und schob die Bibel wieder in die Ledertasche zurück. »Vermutlich hat sie nur einen rein persönlichen Wert als Erinnerungsstück, etwa weil sie meinem Vater gehört hat. Was auch immer. Alte Reisebibeln dieser Art gibt es jedenfalls wie Sand am Meer. Meine Mutter lag zudem im Fieber und hat in der Eile und in ihrer Angst um mich womöglich Dinge gesagt, die sie mit klarem Kopf vermutlich ganz anders ausgedrückt hätte.«
Die Geldbörse, die eine beachtliche Summe an Gold- und Silberstücken enthielt, nahm er jedoch an sich. Lauretia versprach, ihm bei Gelegenheit noch einen zweiten, einfacheren Geldbeutel zu bringen, damit er einen Teil der kleineren Münzen darin am Gürtel aufbewahren und die Samtbörse mit den Goldstücken verborgen unter seiner Kleidung tragen konnte.
Die langen Gespräche mit ihr wurden für Sebastian Trost und Halt in den Tagen seiner steten, aber doch nur langsam voranschreitenden Genesung. Lauretia zerbrach sich mit ihm auch immer wieder den Kopf darüber, warum der Domherr ihn wohl in seine Gewalt bringen wollte und was es mit dem Vorwurf der Ketzerei auf sich haben mochte. Sie rätselten, ob vielleicht eine Beziehung zwischen dem vor wenigen Wochen verhafteten Ketzer Leonhard Kaiser und ihm bestand und ob dieser Mann womöglich sein richtiger Vater war. Aber irgendwie erschien es Sebastian unwahrscheinlich. Und mehr noch als diese Fragen quälte ihn die Sorge, wie es wohl seiner todkranken Mutter erging.
»Ich wäre ja schon längst noch mal zum Erlenhof geritten,
aber der Kapuzenmann hat es mir strikt verboten«, sagte Lauretia. »Er hat mir durch Meister Dornfeld ausrichten lassen, dass ich mich nicht wieder dort im oberen Ilztal sehen lassen darf, wenn ich nicht seinen, meinen und deinen Hals riskieren will. Und ich habe Dornfeld versprechen müssen, mich an das Verbot zu halten. Und das gilt auch für dich.«
»Wer ist dieser fremde Mann nur?«, grübelte Sebastian einmal mehr. »Warum hilft er mir, ohne jedoch zu erkennen zu geben, wer er ist und warum er sich der Gefahr aussetzt, selber ins Visier des Domherrn zu geraten?«
»Er wird seine guten Gründe haben.«
»Sicher, bloß welche?«
Lauretia zögerte kurz und sprach den Verdacht, der ihr plötzlich in den Sinn gekommen war, dann doch aus. »Vielleicht ist ja der Kapuzenmann dein wahrer Vater.«
Mit nachdenklich gefurchter Stirn blickte er sie an. »Weißt du, dass mir dieser Gedanke auch schon gekommen ist? Aber wenn es so wäre, warum hat er einen Boten geschickt, um meine Ziehmutter zu warnen, anstatt selbst nach Erlenhof zu reiten und mich in Sicherheit zu bringen? Und warum redet er nur mit Meister Dornfeld? Könnte er nicht wenigstens jetzt zu mir in die Kammer kommen und dieser Geheimniskrämerei ein Ende bereiten, indem er sich mir als mein Vater zu erkennen gibt und mich über alle Hintergründe aufklärt? Habe ich nicht ein Recht darauf, wo es doch um meinen Kopf geht?« Er gab einen schweren Seufzer von sich. »Es ist alles so schrecklich verworren und beklemmend. Außerdem...« Er führte den Satz nicht weiter.
»Was außerdem?«, hakte Lauretia sofort nach.
Er verzog das Gesicht zu einer trotzig mürrischen Miene. »Außerdem bin ich mir gar nicht so sicher, dass ich meinen leiblichen Vater überhaupt kennen lernen will! Warum sollte
ich auch? Fast siebzehn Jahre lang hat er sich nicht um mich gekümmert. Und in diesen Jahren hat sich ein anderer Mann meine Liebe und Achtung verdient, nämlich Engelbert von Berbeck! Er ist der einzige Vater, den ich anerkenne, und für
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