Das Kloster der Ketzer
Gisa gilt dasselbe!«
Lauretia verstand das nur zu gut.
Langsam nahm er an Kräften zu, und bald begann er damit, mehrmals am Tag aufzustehen und in der Kammer auf und ab zu gehen, um seine Muskeln wieder zu stärken. In der ersten Woche machten ihm noch Schmerzen in der Brust zu schaffen, aber allmählich ließen sie nach, bis er nur noch ein Ziehen verspürte, das gut auszuhalten war. Er dehnte die Zeiten der Bewegung immer länger aus. Denn ihn drängte es danach, nach so vielen Wochen, die er ans Krankenlager gefesselt gewesen war, endlich der Enge dieser Kammer zu entfliehen und wieder hinaus an die frische Luft zu kommen. Inzwischen war das Wetter mit jedem Tag milder und sonniger geworden. Die unbändige, sprießende Kraft des Frühlings hatte endgültig über die letzte eisige Nachhut des Winters obsiegt.
Und dann kam jener letzte Morgen im Mai, an dem er sich kräftig genug fühlte, um endlich den Entschluss in die Tat umzusetzen, den er schon vor Tagen gefasst und Lauretia aus gutem Grund verschwiegen hatte, nämlich heimlich nach Erlenhof zurückzukehren!
12
Tut mir Leid, dass ich gleich wieder wegmuss«, bedauerte Lauretia, als sie ihm beim ersten Licht des Tages den Haferbrei und eine dicke Scheibe Dinkelbrot brachte. »Aber heute Morgen brennt es an allen Ecken und Enden, sogar Dornfelds Frau muss in der Werkstatt mit anpacken. Mich schickte er mal wieder mit einer Wagenladung Bretter zur Festung hinauf. Und wenn ich damit fertig bin, warten noch einige andere Fuhren zu den Flößern auf mich. Indessen nimmt Dornfeld mit Andreas, Ludwig und seiner Frau das Sägegatter auseinander. Das Mühlrad steht, wie du ja vermutlich schon festgestellt hast.«
»Ach so, deshalb ist es heute Morgen so ruhig. Ich habe mich schon gewundert. Was ist denn passiert?«, fragte Sebastian mit vorgetäuschtem Interesse und schaute ihr nicht in die Augen, weil er fürchtete, sie könnte darin lesen, was er zu tun beabsichtigte. In Wirklichkeit hatte er in seiner Aufregung gar nicht registriert, dass an diesem Morgen der übliche Lärm aus der angrenzenden Werkstatt ausgeblieben war.
»Da hat sich etwas verklemmt und ein Holm ist gesplittert. Jetzt sitzen die Sägeblätter in der Mitte eines Baumstammes fest. Das wird ein hübsches Stück Arbeit, das kann ich dir sagen!«
»Na, da wird Meister Dornfeld heute ja nicht gerade allerbester Laune sein.«
Lauretia verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene. »Wahrlich nicht! Mit einem gereizten Stier wäre der Umgang heute bestimmt einfacher als mit Meister Dornfeld! Aber später mehr, ich muss jetzt los und das Fuhrwerk zum Beladen
vorfahren. Gegen Mittag bin ich bestimmt wieder zurück. Dann sehe ich vor meiner nächsten Fuhre nach dir«, versprach sie. »Aber den Abortkübel leere ich dir noch schnell, die Zeit muss sein.«
Sebastian murmelte einen verlegenen Dank, als Lauretia diese unerquickliche Aufgabe erledigt hatte. Sie schenkte ihm ein fröhliches Lächeln, rückte das breitkrempige Landsknechtsbarett zurecht und eilte schnell wieder aus der Kammer.
Hastig machte er sich über den Brei her, die dicke Scheibe Dinkelbrot ließ er jedoch unberührt. Die wollte er als Wegzehrung mitnehmen. Aufmerksam horchte er beim Essen auf die Stimmen und Geräusche im Hof. Die beiden Gesellen Ludwig und Andreas beluden das Fuhrwerk, mit dem Lauretia gleich hinauf zur Festung auf den Georgsberg musste. Bretter und Balken krachten auf die Ladefläche. Und Meister Dornfeld trieb die Männer mit barschen, ungeduldigen Zurufen zur Eile an.
Schließlich hörte Sebastian, wie Dornfeld seinem Schwiegersohn befahl, das Tor zu öffnen, und das schwer beladene Fuhrwerk mit Lauretia alias Lukas auf dem Kutschbock rumpelte aus dem Hof. Sofort beorderte der Mühlenbesitzer seine beiden Gesellen hinüber in die Werkstatt.
Sebastian stand auf und zog die Ledertasche unter der Bettstelle hervor, in der sich seit dem gestrigen Tag auch Schreibfeder, ein kleines Tintenfässchen sowie einige Seiten Papier befanden. Er hatte Lauretia gebeten, ihm das alles zu besorgen, und sie war seinem Wunsch bereitwillig nachgekommen. Natürlich hatte sie wissen wollen, was er damit zu tun beabsichtigte, und er hatte ihr erzählt, dass er seiner Mutter unbedingt einen Brief schreiben wollte, den dann irgendein ahnungsloser Bote, am besten einer von drüben aus der Ilzstadt, nach Erlenhof bringen sollte. Gisa sollte erfahren, dass
ihm die Flucht vor den Schergen des Domherrn gelungen war, aber auch dass Elmar
Weitere Kostenlose Bücher