Das Kloster der Ketzer
und aus der Stadt verschwinden zu können.
Als am Abend die Tür aufging und sie zu ihm in die Kammer trat, hatte er Mühe, einen Seufzer der Erlösung zu unterdrücken. Sie ließ ihn also doch nicht im Stich.
Sie brachte einen Teller mit Broten, die mit dünnen Käsescheiben belegt waren. In der anderen Hand hielt sie ein brennendes Talglicht auf einer flachen Tonschale mit einem Fingerring. Mit verschlossenem Gesicht und ohne einen Ton zu sagen, reichte sie ihm die Brotzeit und warf einen schnellen Blick in den Wasserkrug, den sie ihm am Morgen neben das Bett gestellt hatte und der noch gut bis zur Hälfte gefüllt war.
»Bitte geh nicht schon!«, bat er, als sie ihm sofort den Rücken zuwandte und den Raum wieder verlassen wollte. »Lass uns reden! … Habe ich mich denn nicht für mein dummes Verhalten entschuldigt? Wenn du willst, tue ich es noch einmal! Aber bleib und rede mit mir, bitte!«
Sie antwortete nicht, sondern ging, ohne ein Wort zu sagen, wieder hinaus.
Sebastian war den Tränen nahe und starrte in die Dunkelheit der engen Kammer, die vom schwachen Kerzenlicht nur um das Kopfende der Bettstelle erhellt wurde. Sie wollte ihm nicht verzeihen. Was hatte er nur angerichtet?
Eine gute Stunde mochte wohl vergangen sein, als die Tür sich wieder öffnete und sie zurückkehrte. Diesmal sprach sie ihn an. »Du hast ja nichts gegessen«, stellte sie fest, und ein merkwürdiges Zögern schwang in ihrer Stimme mit, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt mit ihm sprechen sollte.
»Ich habe einfach keinen Bissen hinunterbekommen«, murmelte er verzagt und wagte nicht, sie anzublicken. Doch gleichzeitig regte sich Hoffnung auf Versöhnung in ihm. Denn immerhin strafte sie ihn nicht mehr mit eisigem Schweigen. »Das,
was heute Morgen... vorgefallen ist, hat mich sehr mitgenommen. Ich... ich habe seitdem Angst gehabt, du würdest nie wieder mit mir reden. Und ich wünschte so sehr, ich könnte es ungeschehen machen, das musst du mir glauben!«
Sie nahm auf dem Schemel Platz. »Du musst essen, sonst kommst du nicht wieder auf die Beine«, sagte sie. »Also iss endlich! Irgendwann ist es mit Meister Dornfelds Geduld vorbei.«
Obwohl Sebastian wirklich nicht nach Essen zumute war, griff er nach einem der Käsebrote und biss hinein. Sie sollte sehen, dass er sich Mühe gab, es ihr recht zu machen.
Eine Weile herrschte Schweigen.
Dann sagte sie unverhofft: »Mein richtiger Name ist Lauretia... Lauretia Mangold.«
Überrascht hielt Sebastian im Kauen inne und ließ das Brot sinken. »Lauretia«, wiederholte er. »Das ist ein wirklich schöner Name, den deine Eltern dir gegeben haben.«
Sie verzog das Gesicht zu einem bitteren Lächeln. »Das ist auch schon alles, was sie mir mitgegeben haben. Sie waren Flö ßer und bis zu meinem siebten Lebensjahr habe ich die meiste Zeit mit ihnen auf großen Flößen verbracht. In einer stürmischen Nacht passierte dann das schwere Unglück. Das Floß brach auseinander, und zu den Flößern, die in dieser Nacht ihr Leben verloren, gehörten meine Eltern und mein großer Bruder. Ich selbst wurde wie durch ein Wunder gerettet.«
Betroffen sah Sebastian sie an, sagte jedoch nichts. Er spürte, dass er sie nicht unterbrechen durfte und dass jede Bekundung von Mitgefühl wie auch jede Frage jetzt nur stören würde.
»Mein Onkel, Flößer wie mein Vater, und seine Frau nahmen sich meiner an«, fuhr Lauretia leise fort. »Aber ihnen ging es nicht darum, mich zu trösten und mir ein neues Zuhause auf den Flüssen und in den Wäldern zu geben, wo im Winter
die Bäume geschlagen wurden. Ihnen ging es allein um meine Arbeitskraft. Sie hatten selbst keine Kinder, und meine Tante hasste mich irgendwie dafür, dass ich sie nun jeden Tag daran erinnerte, dass sie ihrem Mann nicht die ersehnten Stammhalter hatte schenken können. Und mein Onkel war nicht viel besser. Für alles bezog ich Prügel, weil ich ihnen einfach nichts recht machen konnte. Aber richtig unerträglich wurde es erst, als ich älter wurde und...« Sie stockte kurz. »... als ich nicht länger wie ein Junge aussah, sondern mich an gewissen Körperstellen veränderte. Du weißt, was ich meine, oder?«
Sebastian nickte.
Lauretia holte tief Luft. »Er wurde immer zudringlicher, vor allem wenn er getrunken hatte und seine Frau nicht in der Nähe war. Er wollte, dass... dass ich ihm zu Willen war. Und als ich nicht nachgab, da versuchte er es eines Tages mit Gewalt.«
»Dieses Schwein!«, flüsterte
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