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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah. Als er vor mir zusammenbrach, fiel ihm sein Barett vom Kopf und mir vor die Brust. Ich weiß nicht, was mich in diesem Moment bewogen hat, danach zu greifen und es festzuhalten, aber ich tat es, sprang aus dem Wagen und rannte in den Wald. Die vier anderen Landsknechte versuchten natürlich, mich wieder einzufangen. Aber sie waren schon recht betrunken und zudem war die Nacht auf meiner Seite. Jedenfalls entkam ich ihnen.«
    Sebastian sog scharf die Luft ein. »Was für eine Geschichte!« »Seit jener Nacht, in der Wolfram starb, trage ich dieses Barett! Es soll mich immer daran erinnern, dass eine allein stehende, mittellose Frau in dieser Welt nichts gilt und keine Rechte hat«, fügte Lauretia bitter hinzu. »Und damals fasste ich den Entschluss, mir Männerkleider zuzulegen, mich fortan Lukas Mahlberg zu nennen und immer nur meinen eigenen Vorteil im Auge zu haben. Nie wieder sollte mich jemand herumstoßen, mich zu seinem Dienstmädchen machen und mich wie ein Stück Dreck behandeln, nur weil ich als Mädchen zur Welt gekommen bin!« Sie gab einen schweren Stoßseufzer von sich. »So, jetzt weißt du alles über mich – und warum ich vorhin so in Panik geraten bin.«
    Sebastian wusste erst nicht, was er darauf sagen sollte. »Jetzt verstehe ich das. Und wahrscheinlich hätte ich an deiner Stelle nicht anders reagiert – ganz abgesehen davon, dass es hässlich und undankbar von mir gewesen ist, dir so heftig zuzusetzen. Ich bin froh, dass du mir das alles anvertraut hast. Und du hast mein heiliges Ehrenwort, dass ich mit keinem darüber reden werde.«
    Lauretia blieb noch lange bei ihm, denn nun öffnete er ihr sein Herz und vertraute ihr an, dass er in der Nacht seiner Flucht erfahren hatte, dass Engelbert und Gisa von Berbeck gar nicht
seine richtigen Eltern waren – und dass sein leiblicher Vater, über den er nicht das Geringste wusste, offenbar noch lebte. Er gestand, wie sehr ihn die Ungewissheit über seine wahre Herkunft und die Sorge um das Wohlergehen seiner geliebten Ziehmutter quälten, und Lauretia fühlte mit ihm und versuchte ihn zu trösten, obwohl sie wusste, dass Worte in so einer Situation wenig ausrichten konnten, wie gut sie auch gemeint sein mochten. Aber es war eine Erleichterung, dass er zumindest mit ihr darüber reden konnte.
    Als es schließlich Zeit wurde, dass er sich schlafen legte, da drückte sie ihm zum Abschied in einer Geste ganz neuer Vertrautheit und Verbundenheit kurz die Hand.
    »Du bist stark, Sebastian, das hast du in den letzten Tagen bewiesen«, sagte sie. »Was immer noch kommen mag, du wirst dich nicht unterkriegen lassen.«
    »Das trifft auch auf dich zu, Lauretia.«
    Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln, wünschte ihm einen guten Schlaf und huschte aus der Kammer.

11
    Bisher war Lauretia nur zu ihm in die Kammer gekommen, um ihn mit dem Notwendigsten zu versorgen, also um ihm Essen zu bringen, den Wasserkrug aufzufüllen, den Abortkübel zu leeren und gelegentlich die Verbände zu erneuern. Nun jedoch besuchte sie ihn, um mit ihm zu reden, und das sooft es ihr möglich war. Meister Dornfeld schickte sie fast täglich mit einem schwer beladenen Fuhrwerk auf das nördliche Donauufer hinüber. Er hatte nämlich einen Großauftrag
erhalten, der mit den umfangreichen Baumaßnahmen in der Veste Oberhaus auf dem Georgsberg zu tun hatte.
    Aber auch wenn sie tagsüber nicht allzu viel Zeit erübrigen konnte, so verbrachte sie doch nach Einbruch der Dunkelheit viele Stunden bei ihm. Mit wachsender freundschaftlicher Vertrautheit unterhielten sie sich über alles Mögliche, erzählten sich Geschichten aus ihrem Leben, teilten dabei heitere wie schmerzliche Erinnerungen und kamen immer wieder auf die ebenso erschreckenden wie mysteriösen Umstände zurück, die zu Sebastians Flucht und dem entsetzlichen Tod seiner beiden treuen Begleiter Elmar und Ansgar geführt hatten.
    In diesen Tagen bat er sie auch, ihm die Reisebibel zu bringen, damit er sie sich einmal in Ruhe ansehen konnte. Er hoffte, schon nach kurzer Prüfung der Heiligen Schrift einen Hinweis zu erhalten, warum es seiner Mutter so wichtig gewesen war, dass er sie auf seiner Flucht mitnahm. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Denn der Schlüssel, mit dem man die beiden Metallschlösser hätte öffnen können, fehlte. Man hätte sie schon mit Gewalt aufbrechen müssen, um einen Blick in die Bibel werfen zu können. Lauretia bot sich an, sie zum Schmied zu

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