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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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und Ansgar am Moorsee im todesmutigen Kampf für ihn ihr Leben gelassen hatten. Und dieser letzte Teil der Geschichte, die er Lauretia aufgetischt hatte, entsprach sogar der Wahrheit. Nur gedachte er, seiner Mutter von Angesicht zu Angesicht davon zu erzählen. Dass sie in den vergangenen Wochen womöglich schon ihrer Krankheit erlegen war, verdrängte er so gut es ging aus seinem Bewusstsein. Er klammerte sich an die Hoffnung, dass Gisa von Berbeck den Kampf gegen die bösartige Krankheit, der sie doch schon seit Monaten klaglos trotzte, noch immer nicht verloren hatte.
    Sebastian legte einen der Bogen auf den Schemel, kniete sich davor und schrieb nun rasch eine Nachricht für Lauretia, damit sie keine falschen Schlüsse zog und Stillschweigen bewahrte, wenn sie gegen Mittag nach ihm schaute und die Kammer leer vorfand. Er teilte ihr mit, dass er sich zum Erlenhof begab und bei Einbruch der Dunkelheit zurück sein würde. Und er bat sie, ihn beim Glockenschlag der Vesper am Tor zu erwarten und ihm ein Zeichen zu geben, wenn die Luft rein war und er wieder unbemerkt über den Hof in seine Kammer gelangen konnte.
    Er ließ den Brief auf dem Schemel liegen, beschwerte ihn mit seinem Becher und warf sich dann seinen warmen Umhang um. Bevor er sich in den Hof hinauswagte, verharrte er einen Augenblick hinter der nur einen Spaltbreit geöffneten Tür und lauschte, ob draußen auch alles ruhig war. Dann huschte er hinaus in den klaren Morgen, eilte über den staubigen Platz, wo sich große Stapel Bretter und Balken auftürmten, und gelangte unbemerkt zum hohen Brettertor. Er schob den breiten Riegel zurück, öffnete den rechten Flügel gerade weit genug, um hinaus auf die Straße schlüpfen zu können, und zog den Torflügel wieder hinter sich zu.

    Er fand sich auf einer nicht sehr breiten Straße wieder, die ein wenig anstieg, sich nach gut fünfzig Schritten nach rechts krümmte und die von dicht aneinander gedrängten Wohnhäusern einfachster Bauweise gebildet wurde. Hier und dort führten Tordurchgänge in Hinterhöfe und Werkstätten.
    Hastigen Schrittes eilte er die Straße hoch – und wurde augenblicklich von einem verkrüppelten Bettler angesprochen. Der in Lumpen gehüllte Mann, dessen Beine ein Stück oberhalb der Knie in hässlichen Stümpfen endeten, hockte auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem Toreingang auf einer mit dicken Rollen versehenen Holzplatte. Mit erstaunlicher Behändigkeit und der Kraft keulendicker Oberarme rollte er auf dem schmutzstarrenden Brett aus dem Durchgang und vor ihm in den Weg, indem er sich mit seinen dreckigen, mit Lumpenstreifen umwickelten Händen vom Boden abstieß.
    »Gemach! Nicht so schnell des Weges, junger Herr! Habt Erbarmen mit einem von den Launen des Schicksals geschlagenen Krüppel!«, rief der Bettler mit krächzender Stimme, brachte sein primitives Gefährt mit der linken Hand vor seinen Füßen zum Stehen und streckte ihm gleichzeitig die rechte bittend entgegen. Das Gesicht des Mannes war von dem Elend eines Lebens auf der Straße gezeichnet, und der eingefallene Mund verriet, dass er längst alle Zähne verloren hatte.
    Sebastian blieb stehen.
    »Eine milde Gabe, junger Herr!«, bettelte der Krüppel. »Beginnt den neuen Tag mit einem gottgefälligen Werk der Barmherzigkeit, das Euch der Allmächtige im Himmel vergelten wird!«
    Sebastian zögerte kurz. Er wollte so schnell wie möglich aus dieser Uferstraße und weg von der Sägemühle kommen. Gleichzeitig regte sich aber auch Mitleid mit diesem Unglücklichen,
der für sein Überleben tagtäglich auf Almosen angewiesen war.
    »Verhärtet nicht Euer Herz, junger Herr! Heißt es denn nicht in der Heiligen Schrift ›Bittet, so wird euch gegeben‹? Und sprach nicht unser Retter und Erlöser einst zu seinen Jüngern, als er sie über das Endgericht der Welt belehrte: ›Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem der Geringsten meiner Brüder getan habt, als er dürstete und hungrig, krank und nackt war, das habt ihr mir getan. Und was ihr ihm nicht getan habt, als er dürstete und hungrig, krank und nackt war, habt ihr mir nicht getan.‹«
    Sebastian konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Der Bettler verstand sein Geschäft und wusste, wie man die barmherzige Seele eines Christenmenschen richtig ansprach. Und er, Sebastian, hatte allen Grund, dankbar zu sein und das Elend eines weniger Glücklichen ein wenig mildern zu helfen.
    »Schon gut, du sollst dein Almosen bekommen, guter Mann«, sagte er

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