Das Kloster der Ketzer
nächsten Augenblick flog sie auch schon wieder hoch und die Riemen der Geißel klatschten auf seinen entblößten Rücken.
Sebastian stand wie erstarrt und beobachtete mit einer Mischung aus Schaudern und Faszination, wie Notker sich gei
ßelte, während ihm unablässige, flehende Rufe um Sündenvergebung stotternd über die Lippen kamen.
Schließlich vermochte er den schrecklichen Anblick nicht länger zu ertragen. »Warum tust du das?«, fragte er leise.
Die mit der Geißel zum Schlag erhobene Hand erstarrte in der Luft und erschrocken fuhr Notker herum. »Laurentius?«, stieß er hervor und seine Stimme klang tränenerstickt.
Sebastian schloss schnell die Tür und ging durch den schmalen Mittelgang zu ihm. »Warum tust du das?«, fragte er erneut. »Gehört das etwa auch zu den Pflichten eines Novizen?«
»G-g-geh! … L-l-lass... mich allein, b-b-bitte«, forderte Notker ihn flehentlich auf. »D-d-du… darfst nicht… hier sein! … Und d-d-du... darfst auch k-k-keinem... d-d-davon erzählen!«
»Den Teufel werde ich tun!«, sagte Sebastian energisch und nahm ihm die Geißel aus der Hand. »Ich will wissen, warum du dir so etwas Scheußliches antust!«
»Es sind d-d-die... Teufel, d-d-die... m-m-mir... k-k-keine Ruhe lassen«, stammelte er verzweifelt.
»Von welchen Teufeln redest du?«, fragte Sebastian unangenehm berührt, und als der Novize in ein hilfloses Gestammel ausbrach, redete er ihm erst einmal zu, sich zu beruhigen, seine Kleidung wieder in Ordnung zu bringen und sich zu ihm auf die vordere Bank zu setzen, damit sie in Ruhe miteinander reden konnten. Auch versicherte er ihm, dass er nichts von ihm zu befürchten habe und er Stillschweigen über das hier bewahren werde.
Endlich hatte sich Notker so weit gefasst, dass er ohne allzu viel Gestottere mit ihm reden konnte. »Wenn du wüsstest, wie eifrig ich in stundenlangem Gebet und durch häufiges Beichten versucht habe, die Dämonen in mir auszutreiben!«, beteuerte er gequält. »Aber der Teufel, diese verfluchte Schlange,
kennt immer neue Listen, um mich vom Weg des Heils zu locken und mich dazu zu bringen, der Versuchung zu erliegen. Und dagegen ist die mit Weihwasser besprengte Geißel die einzig wirksame Waffe... zumindest für einige Tage. Manchmal bringt mich die Angst fast um, rettungslos verloren zu sein und mein Seelenheil zu verlieren, weil ich es nicht schaffe, die klösterliche Zucht einzuhalten und wie ein wahrhaft gehorsamer Diener Gottes nach der Regel zu leben. Und dann muss ich immer daran denken, was im Alten Testament bei Jeremia 17 geschrieben steht: ›Verflucht der Mann, der auf Menschen vertraut, auf schwaches Fleisch sich stützt und dessen Herz sich abwendet vom Herrn. Er ist wie ein kahler Strauch in der Steppe, der nie einen Regen kommen sieht; er bleibt auf dürrem Wüstenboden, im salzigen Land, wo niemand wohnt!‹ Doch ich will kein kahler verfluchter Strauch im salzigen Land sein, sondern ein gesegneter Baum, der Früchte für Gott unseren Herrn trägt!«
Sebastian furchte die Stirn. »Von welchen Versuchungen sprichst du überhaupt?«
»Ach, es gibt derer so viele, wenn das Fleisch so elendig schwach ist wie das meinige!«, stöhnte Notker in dumpfer Verzweiflung. »Aber vor allem machen mir die… die verderblichen sinnlichen Begierden meines schwachen Leibes zu schaffen.« Seine Stimme sank zu einem beschämten Flüstern herab, als er ihm nun anvertraute: »Die Gaumenlust, das Verlangen nach Essen, insbesondere nach allem, was süß schmeckt, ist von den Begierden des Fleisches die schlimmste! Und dagegen hilft auch nicht das geweihte Salz, das ich in einem kleinen Beutel zum Schutz gegen die Verführungen und Blendwerke des Höllenfürsten stets bei mir trage.«
»Aber das ist doch kein hinterlistiges Werk des Teufels, sondern etwas völlig Normales«, sagte Sebastian verblüfft. »Auch ich esse gern süße Speisen.«
»Aber du schleichst dich bestimmt nicht in die Küche oder gar in die Vorratskammern und stiehlst daraus eingemachtes Obst, mit Zucker bestrichenes Brot oder teuren Honig, weil dich das Verlangen danach so quält, dass du all deine guten Vorsätze und deine heiligen Gelübde brichst, die du in den Stunden bitterer Reue vor dem Antlitz der Muttergottes abgegeben hast!«, sagte Notker. »Und genau das habe ich vorhin nach der Komplet getan!«
Sebastian wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Was Notker als Listen des Teufels bezeichnete und ihn dazu brachte, sich den Rücken blutig zu
Weitere Kostenlose Bücher