Das Kloster der Ketzer
geißeln, besaß in seinen Augen überhaupt nichts Verwerfliches. Zumindest rechtfertigte sie seiner Meinung nach nicht, dass Notker sich als Strafe bis aufs Blut peitschte. Es befremdete ihn vielmehr.
»Ich habe mich gleich hinterher zum Erbrechen gebracht, aber ich weiß, dass das als Strafe nicht ausreicht!«, fuhr der Novize denn auch sofort weiter. »Nur die Geißel, im Angesicht der heiligen Jungfrau und Gottesmutter mit unnachgiebiger Härte gegen den eigenen schwachen Leib geschwungen, kann mir Luzifers bösartige Fratze und seine satanischen Einflüsterungen austreiben! Ich bin einfach so beschämend elendig schwach. Und dabei träumte ich noch als kleiner Junge davon, eines Tages als Märtyrer zu sterben, um als Blutzeuge für unseren Heiland in den Himmel einzuziehen und die Krone der ewigen Herrlichkeit zu empfangen!«
Sebastian mühte sich redlich, Verständnis für Notkers Seelenqual aufzubringen, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Wie konnte man nur glauben, seine ewige Seligkeit zu verlieren, nur weil man gerne aß und eine Schwäche für süße Speisen
hatte? Dann stände doch wohl der größte Teil der Päpste, Kardinäle, Bischöfe und noblen Kanoniker vor verschlossenen Himmelstüren!
Nein, was diese Dinge betraf, war er von seinen geliebten Zieheltern in einer völlig anderen christlichen Gesinnung erzogen worden. Zwar hatten auch sie ihm beigebracht, vor den Einflüsterungen des Teufels auf der Hut zu sein, dem Weg der Tugend zu folgen und stets die zehn Gebote zum unverrückbaren Maßstab all seiner Handlungen zu machen. Aber sie hatten doch auch nicht die Augen vor den alltäglichen Schwächen der menschlichen Natur verschlossen und ihn wissen lassen, dass nur die allerwenigsten von ihnen zu einem wahrhaft heiligmäßigen Leben beschaffen waren. Was jedoch nicht bedeutete, dass deshalb allen anderen das ewige Seelenheil verwehrt blieb.
»Du darfst keinem davon erzählen, Laurentius!«, beschwor ihn Notker, nachdem er sich alles von der Seele geredet hatte, was ihn quälte. »Vor allem darf Bruder Sulpicius nichts davon erfahren, sonst bekommt er einen Wutanfall und lässt mich womöglich mein ewiges Gelübde erst in einem halben Jahr ablegen! Unser Prior will von den Segnungen der Selbstgeißelung nämlich nichts wissen und er neigt in diesen Dingen schnell zu einem Tobsuchtsanfall. Bruder Scriptoris ist zwar leider auch kein Freund der Geißel, aber er belässt es wenigstens bei Ermahnungen und straft einen nur mit scharfzüngigen Bemerkungen. Vor allem kann ich ihm all meine Verfehlungen beichten, ohne befürchten zu müssen, dass dem Prior davon etwas zu Ohren kommt. Denn die beiden gehen wohlweislich ihre eigenen Wege, wenn du verstehst, was ich damit sagen will.«
»Du meinst, sie können sich nicht ausstehen?«
Notker zuckte die Achseln. »Nicht dass sie verfeindet wären und sich gegenseitig bekriegen, so weit will ich nicht gehen.
Aber in allzu großer brüderlicher Liebe zueinander sind sie jedenfalls nicht entflammt! Als Bruder Scriptoris damals zu uns gekommen ist, da hat er in unserem Konvent beim Abt und vielen anderen sehr schnell große Sympathien gewonnen, und so mancher von uns geht insgeheim schon davon aus, dass er zu den drei, vier Brüdern mit Priesterweihe zählt, von denen einer mal unser nächster Abt sein wird. Denn er war ja schon mal Prior, ist ein ungemein gelehrter Mann und auch nicht ohne Ehrgeiz, wie ihm der eine oder andere unterstellt. Und unser Vater Abt Adelphus ist schon hoch betagt und in letzter Zeit sehr kränklich, so dass seine Zeit bald kommen kann.«
»Und jetzt sieht Bruder Sulpicius seine Felle davonschwimmen?«, mutmaßte Sebastian.
»Ja, möglicherweise sieht unser derzeitiger Prior das so, obwohl vielleicht gar nichts dran ist. Und das trifft auch auf Bruder Vitus, unseren einflussreichen Cellerar zu, der sich auf die Finanzen versteht wie kaum ein anderer und auch nicht gerade ohne Ehrgeiz nach hohen Ämtern ist. Aber das sind nichts weiter als vage Mutmaßungen«, schränkte Notker vorsichtig ein. »Eines ist jedoch sicher, nämlich dass der Prior und der Cellerar in manch wichtigen klösterlichen Belangen recht gegensätzliche Ansichten zu denen unseres Novizenmeisters vertreten.«
»Ist mir euer Cellerar schon begegnet?«, wollte Sebastian wissen, denn einem solch einflussreichen Mann innerhalb eines Konvents wollte er in diesen Tagen, wo man ihn ganz besonders kritisch beäugte, auf keinen Fall unliebsam auffallen.
»Bruder
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