Das Kloster der Ketzer
beweglichen Lettern so um 1450 herum erfunden hat. Nach Gutenbergs Tod im Jahr 1468 hat es seine Familie dann irgendwie nach Sachsen verschlagen.«
Schon wieder Wittenberg!, dachte Sebastian beklommen und hörte nur noch mit halbem Ohr auf das eifrige Geplapper des Novizen. Der scharfgesichtige Novizenmeister ein Feind der Neugläubigen, in deren Wittenberger Hochburg seine Ziehmutter ihn hatte schicken wollen!
Sebastian beschlich auf einmal der beunruhigende Gedanke, dass er hier, hinter Klostermauern, keineswegs so sicher aufgehoben sein würde, wie der Kapuzenmann, Lauretia und er angenommen hatten!
5
Die Stunde der klösterlichen Nachtruhe war gekommen und eine tiefe Stille hatte sich über die Abtei Unserer Lieben Frau vom Inn gelegt. Das Einzige, was schwach an sein Ohr drang, war das Rauschen des Flusses, durch dessen gewundenes Bett sich zu dieser Jahreszeit das Schmelzwasser aus den Bergen in kräftigen Fluten talabwärts drängte.
Sebastian saß in seiner Kammer an dem kleinen Holztisch, der direkt unter dem winzigen Fenster stand, das zum Fluss hinausging und bis auf eine schießschartenartige Öffnung zugemauert war. Es war gerade so groß, dass er seinen Kopf hinausstecken konnte. Vor ihm im Licht der Kerze lag das Büchlein mit der Ordensregel des heiligen Benedikt.
Wahllos hatte er in der Schrift geblättert und kehrte nun zur ersten Seite zurück, um die Lektüre mit der Vorrede zur Mönchsregel zu beginnen.
»Lausche, mein Sohn, den Lehren des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm willig hin die Mahnung des Vaters, der es gut mit dir meint, und erfülle sie im Werk, damit du in der Mühsal des Gehorsams heimkehrest zu dem, den du in der Trägheit des Ungehorsams verließest. An dich richtet sich nun mein Wort, der du dem eigenen Willen entsagst und die herrlichen Heldenwaffen, die der Gehorsam dir bietet, ergreifst zum Kampfe für Christus, den Herrn, den wahren König...«
Er überflog die nächsten Seiten, um dann gegen Ende der Vorrede mit wachsender Beklommenheit zu lesen:
»Wenn wir der Pein der Hölle entrinnen und zum ewigen Leben gelangen wollen, müssen wir, solange es Zeit ist, solange wir im Fleische wandeln und all das noch auf diesem Weg des
Lichtes vollbringen können, jetzt müssen wir uns beeilen und so handeln, wie es uns für die Ewigkeit frommt. Es ist also unsere Absicht, eine Schule für den Dienst des Herrn einzurichten. Wir hoffen, dabei keine harten und erdrückenden Vorschriften zu geben. Wenn es aber doch einmal recht und billig erschien, zur Besserung von Fehlern und zur Wahrung der Liebe etwas mehr Strenge anzuwenden, so darfst du nicht, von Furcht ergriffen, allsogleich vom Weg des Heils fliehen, der am Anfang nicht anders als eng sein kann. Schreitet man aber in klösterlichem Tugendwandel und im Glauben voran, dann erweitert sich das Herz und man eilt in unsagbarer Süßigkeit der Liebe den Weg der Gebote Gottes. So wollen wir uns seiner Schule nie entziehen, in seiner Lehre bis zum Tod im Kloster verharren und auf diese Weise in Geduld an den Leiden Christi teilnehmen. Damit erlangen wir auch, dass wir Genossen seiner Herrlichkeit werden dürfen.«
Strenge, Gehorsam, klösterlicher Tugendwandel, geduldige Teilnahme an den Leiden Christi – die mahnenden Worte, die Sebastian aus dem Text entgegensprangen, hallten wie Hämmerschläge in seinem Kopf nach.
Auf was hatte er sich da bloß eingelassen?
Er versuchte noch eine Weile, sich auf die Lektüre der Mönchsregel zu konzentrieren, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Zu viel anderes drängte sich immer wieder in seine Gedanken und schließlich gab er es auf. In den nächsten Tagen blieb ihm noch Zeit genug, um sich mit dem vielseitigen Regelwerk einigermaßen vertraut zu machen. Und mit ein wenig Glück würde er kaum so lange im Kloster ausharren müssen, um den hohen Ansprüchen gerecht zu werden und vor den Augen des Novizenmeisters und seiner Mitbrüder zu bestehen.
Sebastian schlug das Buch zu und kroch unter die muffigen
Decken seiner Bettstelle. Er hoffte, schnell Schlaf zu finden, denn schon um zwei Uhr war die Nacht im Kloster zu Ende, begannen dann doch die Vigilien. Und schon um drei Uhr fünfzehn folgte mit den Laudes, dem Lobgebet zur Morgendämmerung, die nächste Gebetszeit, an die sich um halb fünf die Prim anschloss. Terz, Sext und Non unterbrachen die Arbeit am Tag, und mit der Vesper vor dem Abendessen und der anschließenden Komplet schloss sich der Kreis der täglich
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