Das Kloster der Ketzer
verwünschte er den Kapuzenmann, dass ihm kein besserer Einfall als der Eintritt ins Kloster gekommen war, um ihn vor dem Domherrn und seinen Häschern zu schützen.
Am Tag zuvor hatte er das erstaunlich kurze Gespräch mit dem Abt und die ihm äußerst unangenehme Generalbeichte hinter sich gebracht, bei der er unter heftigen Gewissensbissen seine falsche Lebensgeschichte sowie seine angebliche Berufung zum Klosterleben vor den erstaunlich klaren und wachen Augen des Oberen in groben Zügen wiederholt hatte. Zum ersten Mal in den fast zwei Wochen seiner Anwesenheit in der Abtei Unserer Lieben Frau vom Inn hatte er den Abt zu Gesicht bekommen.
Er hatte damit gerechnet, einem alten und gebrechlichen Mann in den letzten Jahren seines achten Lebensjahrzehnts zu begegnen, der von langer auszehrender Krankheit gezeichnet war. Doch zu seiner Überraschung sah er sich einem zwar sehr hageren Mönch mit einem knöchrigen Gesicht und einer durchscheinenden, von braunen Altersflecken übersäten Haut gegenüber, doch von greisenhafter Gebrechlichkeit fehlte jede Spur. Der Abt hielt sich aufrecht wie ein Gardesoldat, sprach mit fester Stimme und musterte ihn mit ungetrübten, aufmerksamen Augen, denen nichts zu entgehen schien. Und es hätte Sebastian nicht verwundert, wenn er seine Lügenmärchen auf Anhieb durchschaut und ihn schon nach den ersten verlogenen Worten scharf des Klosters verwiesen hätte.
Aber nichts dergleichen war geschehen. Und jetzt trennten ihn nur noch wenige Minuten von der Zeremonie, die ihn zum Novizen mit allen Rechten und Pflichten im Orden der Zisterzienser machen würde.
»Bist du bereit?«
Sebastian schreckte aus seinen nervösen Gedanken auf und fuhr wie ertappt herum. Der Novizenmeister stand in der offenen Tür des Kapitelsaals, dessen Zutritt ihm bisher verwehrt gewesen war. Er schluckte, weil ihm ein fetter Kloß in der Kehle saß, und beschränkte sich auf ein Nicken als Antwort.
»Gut, dann wollen wir den Konvent nicht warten lassen und zur Rezeption schreiten, Laurentius!«
Bruder Scriptoris führte ihn in den Kapitelsaal, dessen Wände bis zur Gewölbedecke holzgetäfelt und in Kassetten unterteilt waren. Bunte, bleiverglaste Bogenfenster dämpften das einfallende Licht, das dem Holz eine warme, honigfarbene Tönung gab. Die Mönche saßen entlang der Wände in einem aufwändig geschnitzten Chorgestühl. Allein der Abt saß leicht erhöht und auf einem besonders kunstvoll gearbeiteten Lehnstuhl vor den Stufen des kleinen Altars, der die umlaufenden Sitzreihen an der Stirnseite des Kapitelsaals unterbrach.
Sebastian rauschte das Blut in den Ohren, und sein wild hämmerndes Herz schien wie ein dicker Klumpen Teig aufzuquellen und ihm die Brust sprengen zu wollen, als er dem Novizenmeister in den Raum folgte. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und er fühlte sich nackt und bis auf die Seele entblößt.
Bruder Scriptoris versetzte ihm verstohlen einen leichten Knuff in die Seite, als er auf halbem Weg zum Stuhl des Klosteroberen plötzlich stockte. »Weiter!«, raunte er so leise, dass Sebastian ihn gerade noch verstehen konnte, sonst aber niemand. »Und dann runter auf die Knie.«
Mit einem Würgen im Hals machte Sebastian noch weitere vier, fünf Schritte. Dann stand er im Angesicht von Abt Adelphus, vor dem er nun wie vorgeschrieben in die Knie ging.
Einen Augenblick herrschte feierliche Stille im Kapitelsaal. Dann fragte der Abt mit kräftiger, klarer Stimme: »Was begehrst du, Laurentius Mangold?«
»Gottes Gnade und Eure Barmherzigkeit«, antwortete Sebastian, so wie es die Ordensregel verlangte. Die Fragen und Antworten bei einer Rezeption hielten sich an eine strenge, vorgegebene Reihenfolge, die insbesondere dem Novizenanwärter keinen Raum für Eigenwilligkeiten ließ.
»Erhebe dich!«
Sebastian folgte der Anweisung des Abtes. Dabei hätte er die Befragung viel lieber kniend ertragen, wäre es ihm so doch erspart geblieben, die ganze Zeit dem prüfenden Blick der wachen Augen des Abtes standhalten zu müssen.
Abt Adelphus stellte die üblichen Fragen, die Sebastian auch schon dem Novizenmeister am Tag seiner Ankunft im Kloster hatte beantworten müssen, nämlich ob er verheiratet sei, ob hörig oder in anderer Weise wirtschaftlich abhängig und ob von geheimen Krankheiten befallen.
»Nein, ehrwürdiger Vater Abt!«, antwortete Sebastian auf jede dieser Fragen und hatte dabei Mühe, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.
Nachdem dieser formelhafte Teil der
Weitere Kostenlose Bücher