Das Kloster der Ketzer
Rezeption abgeschlossen war, nahm ihn der Abt scharf in seinen Blick und warnte ihn mit größter Eindringlichkeit vor der strengen Zucht des klösterlichen Daseins. Er verwies auf die kärgliche Nahrung, die ihn erwarte, und dass die Kleidung eines Mönches rau sei. Er hielt ihm vor Augen, dass ihm wenig Schlaf vergönnt sein werde, da der Tag der Arbeit gehöre und des Nachts die Vigilien zu halten seien.
»Fasten wird deinen Körper ermatten, harte Arbeit deinen Stolz austreiben und Abgeschlossenheit und Schweigen werden Geist und Seele auf eine harte Probe stellen!«, prophezeite er ihm abschließend. »Denn nur durch Härte und Beharren lernt man seinen eigenen Willen und die Schwachheit des Fleisches zu überwinden.« Er machte eine kurze Pause, um seine letzten mahnenden Worte wirken zu lassen. »So sag denn: Ist es noch immer dein Wunsch, in unser Kloster einzutreten, nach unserer Regel zu leben und deinen Willen deinen Oberen zu unterwerfen, Laurentius Mangold?«
Sebastian lief es heiß und kalt den Rücken hinunter. Und
er musste alle Willenskraft aufwenden, um nicht beschämt aus dem Kapitelsaal zu stürzen. »Ja, das ist es, ehrwürdiger Vater Abt!«, sagte er dann mit fester Stimme.
»So sei es denn!«
Während Sebastian nun eingekleidet wurde, stimmte der Konvent einen herrlichen Choral an. Bruder Scriptoris half ihm dabei, das Gewand der Zisterzienser anzulegen, die weite Mönchskutte mit dem Skapulier 23 , das vorn und hinten bis auf die Füße herunterfiel und einen Mönch bei Tag und bei Nacht und selbst noch im Grab umschloss.
»Der Herr ziehe dir einen neuen Menschen an«, betete Abt Adelphus, als Sebastian den Habit 24 der Mönche anlegte, der jedoch nicht geweiht wurde. Das geschah erst, wenn ein Novize bei der Profess das ewige Gelübde ablegte.
Sebastian fühlte sich wie benommen, als auf den feierlichen gregorianischen Gesang der versammelten Mönche eine Rezitation und darauf die Prozession des Konvents in Zweierreihen in den Chor der Kirche folgten. Zusammen mit dem Abt bildete er das Ende der Mönchsprozession. In der Kirche warf er sich der Ordensregel gemäß vor dem Altar nieder, die Arme von sich gestreckt wie Christus am Kreuz, während der abschließende Hymnus der Mönche die Kirche erfüllte.
Wilde Scham ob seiner Verlogenheit, mit der er die Ahnungslosigkeit und Gastfreundschaft der Mönche ausnutzte, tobte in ihm, während er mit ausgestreckten Armen auf den kalten Bodenplatten lag. Und ihm war, als müsste jeder die
anklagende Stimme hören, die in ihm schrie: »Lüge!... Lüge!... Lüge!«
Endlich hatte die Feier ein Ende, als der Abt die Zeremonie mit den Worten »Nicht wer angefangen hat, sondern wer beharret bis ans Ende, wird selig werden!« beschloss und ihm den Kuss des Friedens gab.
Nach der Rezeption zeigte ihm Bruder Pachomius, welche Zelle ihm der Novizenmeister im Haupthaus zugewiesen hatte. Sie lag im zweiten Stockwerk, ging nach hinten auf den Klosterfriedhof hinaus und war sogar noch kleiner als die Kammer, die er bisher in der ehemaligen Kornmühle bewohnt hatte. Sie maß gerade mal knappe drei Schritte sowohl in der Länge wie in der Breite, ein ärmliches Klostergelass, das nur mit einem Stuhl, Tisch, Strohlager und einer Wolldecke ausgestattet war.
Wie bei allen Klosterzellen, so ließ sich auch hier die Tür nicht von innen verschließen, damit jederzeit unangekündigte Visitationen der Oberen, also Besuche vom Novizenmeister, Prior oder Abt, möglich waren. Zudem wies die Tür eine große Öffnung in Augenhöhe auf, so dass zu allen Tages- und Nachtstunden der Blick ungehindert von außen in die Zelle fallen konnte. Denn so wenig wie einem Klosterbruder Privateigentum erlaubt war, so wenig gab es für einen Mönch so etwas wie ein Privatleben, nicht einmal in seiner Zelle.
»Jetzt gehörst du richtig zu uns!«, flüsterte Pachomius mit freudestrahlendem Gesicht. »Ich bin ja so froh, dass du bei uns eingetreten bist!«
»Ja«, murmelte Sebastian mit einem gequälten Lächeln, blickte zum Fenster hoch, das weit oben in der Wand saß und nichts als Himmel sehen ließ, und wünschte sich in Wirklichkeit weit weg von diesem Ort. Ihm war, als hätte er sich einer schweren Gotteslästerung schuldig gemacht, und da half auch nicht das Wissen, dass der Kapuzenmann ihm keine andere
Wahl gelassen und er den Schutz des Klosters bitter nötig hatte.
Sebastian ahnte nicht, dass die Sicherheit, in der er sich hinter den Mauern der Abtei wähnte, so
Weitere Kostenlose Bücher