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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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trügerisch war wie die dünne Eisschicht auf einem zugefrorenen See. Schon in der folgenden Woche sollte er erkennen, dass an diesem Ort mehr Gefahren lauerten, als er gar in seiner blühendsten Fantasie für möglich gehalten hätte.

12
    D ie rätselhaften und beklemmenden Ereignisse, die in der Abtei schließlich in heimtückischen Verbrechen und einem Anschlag auf sein Leben gipfeln sollten, begannen damit, dass Sebastian vier Tage nach seiner Aufnahme als Novize nach der Komplet erschrocken feststellte, dass jemand seine Reisebibel aus der Zelle gestohlen hatte. Er hatte sie noch am Abend der Rezeption heimlich in seine neue Unterkunft gebracht und in seinem Strohsack versteckt. Und nun war sie verschwunden!
    Der Diebstahl stürzte ihn in heillose Verwirrung und weckte in ihm dunkle, namenlose Ängste. Wer konnte davon gewusst haben, dass er dieses Buch versteckt gehalten hatte? Hatte Bruder Scriptoris in jener Nacht trotz der Dunkelheit vielleicht doch die Ledertasche bemerkt, daraufhin seine Zelle durchsucht, dabei die Bibel entdeckt und sie an sich genommen? Oder steckte etwas ganz anderes dahinter, etwas Bedrohliches, das irgendwie in einem Zusammenhang mit dem Domherrn stand?

    Aber das konnte nicht sein, denn von der alten Reisebibel wusste niemand außer Lauretia und dem Kapuzenmann. Und wenn Tassilo von Wittgenstein inzwischen erfahren hätte, dass er sich hier im Kloster versteckt hielt, dann hätte sich dieser skrupellose Mann kaum damit begnügt, ihm heimlich die schäbige Bibel aus der Zelle zu stehlen, sondern dann hätte er ihn bestimmt längst festnehmen und einkerkern lassen.
    Sebastian kämpfte mit der Angst und wünschte, Lauretia wäre bei ihm, damit er mit ihr bereden konnte, was er jetzt bloß tun sollte. Aber bis zu ihrem nächsten Treffen waren es noch eine lange Nacht und ein langer Tag hin – immer vorausgesetzt, dass sie auch wirklich kommen und er sich wieder unbemerkt aus dem Kloster schleichen konnte.
    Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit der Vermutung zu beruhigen, dass es nur der Novizenmeister gewesen sein konnte, der die Bibel an sich genommen hatte. Und er rechnete damit, schon am nächsten Morgen in der Druckwerkstatt wegen seines Verstoßes gegen die Regel, die jedes private Eigentum streng untersagte, zur Rede gestellt zu werden.
    Aber das geschah nicht. Bruder Scriptoris erwähnte die Reisebibel mit keinem Wort und benahm sich bei der Arbeit ihm gegenüber nicht anders als in den Tagen zuvor. Kein vielsagend fragender Blick, der eine reuige Erklärung verlangte. Nicht ein einziges Wort der Zurechtweisung!
    Und er, Sebastian, wagte es nicht, ihn von sich aus darauf anzusprechen. Vielleicht wollte der Mönch ihn ja vor einer Strafe bewahren, und da wäre es einfältig von ihm, wenn er die Sache nicht auf sich beruhen ließe. Oder erwartete Bruder Scriptoris, dass er seinen schweren Verstoß beichte, ohne vorher dazu aufgefordert worden zu sein?
    Nein, er zog es vor, so zu tun, als wäre nichts geschehen,
was einer Erklärung und reumütigen Selbstbezichtigung bedurfte.
    Und er tat gut daran. Denn als er sich am Abend in seine Zelle begab, um dort voller Ungeduld der Stunde seines Treffens mit Lauretia entgegenzufiebern, fand er die Bibel samt der Ledertasche wieder in seinem Strohsack vor!
    Als er sich von dem Schock einigermaßen erholt hatte und die alte Bibel ratlos in seinen Händen hin und her drehte, stellte er plötzlich fest, dass die beiden Schlösser aufgebrochen waren, sich wohl nach der Gewaltanwendung nicht wieder hatten abschließen lassen und nun schon bei leichtem Druck aus ihren Halterungen rutschten.
    Ihn befiel augenblicklich die dunkle Ahnung, dass Lauretia und er einen schweren Fehler begangen hatten, als sie die Bibel für nicht sonderlich wertvoll eingeschätzt und deshalb davon abgesehen hatten, sie einer genauen Prüfung zu unterziehen. Und als er nun den metallenen Buchdeckel aufklappte, sah er, dass die Ahnung ihn nicht getrogen hatte.
    Die alte Bibel war innen bis auf einen schmalen Seitenrand vollkommen ausgehöhlt. Das unansehnliche Buch mit den wenig kunstvollen, verkratzten Metalldeckeln hatte als Versteck gedient!
    Doch was sich in diesem Versteck befunden hatte, darüber konnte er sich jetzt nur noch in müßigen Spekulationen ergehen. Denn aus der rechteckigen Aushöhlung, die gute vier Finger tief reichte, starrte ihm gähnende Leere entgegen.
    Sebastian schalt sich einen ausgemachten Tölpel und verwünschte seine sträfliche

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