Das Kloster der Ketzer
Machtgelüsten herrscht auch bei ihnen kein Mangel. Aber dennoch ist da etwas, das mich trotz all der Unzulänglichkeiten
irgendwie… nun ja, fasziniert. Diese vollkommene Hingabe und Entschlossenheit, auf ewig im Kloster in Armut, Gehorsam und Keuschheit zu leben und sich in strenger Zucht ganz der Anbetung Gottes und der Verehrung der Muttergottes zu widmen, ist schon etwas hr... ja, Mutiges. Da kommt man durchaus ins Nachdenken. Auch haben es mir die Chorgesänge sehr angetan. Die Mönche verstehen sich wirklich darauf, ihren Wechselgesang zu einem ungemein feierlichen Lobpreis Gottes zu machen. Manchmal bekomme ich eine Gänsehaut, wenn der Gesang der Mönche das Kirchenschiff erfüllt. Dann ist mir, als rückte ich selbst dem Himmel ein Stück näher.«
Auf Lauretias Gesicht zeigte sich Besorgnis. »Aber du bist doch hoffentlich nicht so sehr vom Klosterleben beeindruckt, dass du nun ernsthaft daran denkst...«
Er ließ sie erst gar nicht ausreden und lachte auf. »Nein, keine Sorge, für das ewige Gelübde bin ich wahrlich nicht geschaffen. Armut und Gehorsam zu geloben würde mir schon mehr als genug Probleme bereiten. Aber niemals könnte ich mich zu Keuschheit und Ehelosigkeit verpflichten. An das Kloster wirst du mich also ganz sicher nicht verlieren.«
Der letzte Satz rutschte ihm einfach so heraus. Erst als er ihn ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, welch eindeutige Gewichtung ihrer Beziehung in diesen Worten lag. Und er fürchtete, dadurch zu schnell und vorlaut bei ihr Gefühle vorausgesetzt zu haben, die sie ihm in dieser unzweifelhaften Klarheit noch gar nicht zu verstehen gegeben hatte.
Lauretias Antwort enthob ihn dieser Befürchtung. »Das hätte ich auch nicht zugelassen, Sebastian!«, erklärte sie mit leiser, aber entschlossener Stimme.
Ohne dass es eines Wortes bedurfte, trafen sich ihre Hände
im warmen Gras, um stumm zu besiegeln, was sie an tiefen Gefühlen füreinander empfanden.
Eine Weile saßen sie in einträchtigem Schweigen so am Ufer, blickten auf die dunklen, unergründlichen Fluten, auf die Mond und Sterne gelegentlich einen flüchtig silbrigen Schein warfen, und waren erfüllt von der beglückenden Nähe des anderen.
Später dann redeten sie über vieles andere, auch über Kleinigkeiten, die sich in den vergangenen zehn Tagen auf dem Mühlhof von Meister Dornfeld ereignet hatten. Natürlich kamen sie irgendwann auch wieder auf den mysteriösen Kapuzenmann und den Domherrn zu sprechen, und wieder einmal zerbrachen sie sich erfolglos den Kopf über der Frage, welche Beweggründe wohl hinter deren rätselhaftem Handeln stecken mochten, was sich hinter dem Geheimnis von Sebastians Abstammung verbarg, was es mit seinem unbekannten leiblichen Vater auf sich hatte und was die Zukunft für sie beide wohl bereit hielt.
Da diese Grübeleien jedoch fruchtlos waren und Sebastian nur mit Kummer und Schmerz erfüllten, wechselte Lauretia rasch das Thema. Sie erzählte ihm von dem Prozess gegen die beiden Wiedertäufer, bei denen es sich um zwei bislang unbescholtene Handwerker, einen Bäcker und einen Schneider aus der Innbrückgasse handelte. Und dass beide standhaft auf ihrem Irrglauben beharrten und nicht bereit waren, den verlangten Widerruf zu leisten, so dass ihnen die Verurteilung und Hinrichtung drohte. Ähnliches hörte man auch von dem abgefallenen Pfarrer Leonhard Kaiser, der seine Treue zu seinem sterbenskranken Vater nun vermutlich ebenfalls mit seinem Leben bezahlen musste, da auch er jeglichen Widerruf seiner lutherischen Überzeugungen verweigerte.
Lange verweilten sie dort am einsam gelegenen Ufer des
Inn und zögerten die Trennung voneinander möglichst lange hinaus. Aber die Zeit, die während des Tages scheinbar nicht hatte vergehen wollen, raste jetzt dahin.
Lauretia begleitete ihn dann noch bis zum Saum des Waldes, wo das Gelände in die freien Flächen der klösterlichen Äcker und Felder überging.
»Wann sehen wir uns wieder?«, fragte Sebastian beklommen und hielt ihre beiden Hände umfasst, als wollte er sie nicht mehr loslassen.
»Meister Dornfeld hat mit eurem Cellerar ausgemacht, dass er einmal die Woche Bauholz anliefert. Das heißt, dass wir uns erst nächsten Mittwoch wieder treffen können«, sagte sie mit großem Bedauern. »Ich weiß nicht, ob sich mir vorher eine Gelegenheit bietet, abends noch vor dem Schließen der Tore aus der Stadt zu kommen, da ich die nächsten Tage viele Fahrten hoch zur Festung machen muss und die Zeit dann meist
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