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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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Nachlässigkeit, denn er erkannte nun, dass seine Ziehmutter ganz und gar nicht vom hohen Fieber geistig beeinträchtigt gewesen war, als sie ihn beschworen hatte, diese alte Reisebibel auf seiner Flucht mitzunehmen und sie wie seinen Augapfel zu hüten.

    Zu den heftigen Selbstvorwürfen gesellte sich sofort eine ganze Reihe von beunruhigenden Fragen, nämlich was sich in dem Versteck wohl befunden haben mochte; welchen Wert es besaß; wem der Inhalt einst gehört hatte; zu welchem Zweck es dort verborgen gewesen war; wieso es sich im Besitz seiner Ziehmutter befunden hatte; was er damit hätte anstellen sollen; ob es wohl etwas mit seinem unbekannten leiblichen Vater zu tun hatte – und nicht zuletzt die Frage, wer von dem Versteck gewusst haben konnte.
    Dieser ebenso mysteriöse wie beängstigende Vorfall beherrschte auch Stunden später sein nächtliches Wiedersehen mit Lauretia, kaum dass sie sich auf der vom Wald geschützten kleinen Uferwiese in die Arme gefallen waren und sich geküsst hatten.
    Lauretia war nicht weniger überrascht und zugleich erschrocken, als sie erfuhr, dass der alte Foliant als Versteck gedient hatte und nun im Kloster von einem Unbekannten seines geheimen Inhalts beraubt worden war.
    »Ja, unheimlich ist das alles schon. Aber ich glaube nicht, dass du jetzt im Kloster nicht mehr sicher bist«, sagte sie. » Eine beruhigende Gewissheit haben wir zumindest!«
    Sebastian runzelte die Stirn. »Ich wüsste nicht, was an der ganzen Sache beruhigend sein sollte!«
    »Ich schon«, erwiderte sie. »Nämlich die unzweifelhafte Tatsache, dass der Domherr nicht hinter der Sache stecken kann. Denn in dem Fall würdest du jetzt nicht mit mir hier am Flussufer sitzen, sondern in einem dreckigen Kerker liegen.«
    »Das stimmt wohl«, gab Sebastian zu. Der Domherr hatte es in erster Linie auf ihn persönlich abgesehen, das stand nach allem, was passiert war, außer Zweifel. Und wenn er gewusst hätte, dass Sebastian sich hier im Kloster aufhielt, hätte er ihn nie und nimmer verschont. »Aber beruhigend finde ich das
alles trotzdem nicht, denn dadurch wird die ganze Angelegenheit nur noch undurchschaubarer und unheimlicher.«
    »Da gebe ich dir Recht«, pflichtete sie ihm bei. »Aber lass uns doch mal in aller Ruhe durchgehen, wer als Täter überhaupt in Frage kommen könnte.«
    »Also, mein Verdacht ist zuerst auf Bruder Scriptoris gefallen, denn das hätte einen Sinn ergeben, weil privates Eigentum ja jedem Mönch verboten ist«, sagte Sebastian. »Aber Bruder Scriptoris kann erstens unmöglich von dem Versteck in dem Folianten gewusst haben. Und zweitens: Weshalb hätte er dann die Bibel und die Ledertasche wieder in meinem Strohsack verstecken sollen? Er hätte beides in jedem Fall einbehalten und mich zur Rede stellen müssen! Denn der Novizenmeister nimmt es mit der Einhaltung der Ordensregel um einiges genauer als so mancher seiner Mitbrüder! Er ist voll des Lobes, dass der Abt nun wieder auf unverwässerte Einhaltung der strengen Klosterzucht achtet, die der Cellerar und der Prior während seiner langen Krankheit wohl recht großzügig ausgelegt haben. Nein, Bruder Scriptoris hätte mir diese Verfehlung nie und nimmer durchgehen lassen.«
    Lauretia nickte. »Gut, dann können wir ihn also schon mal ausschließen. Du bist dann vermutlich einem ganz gewöhnlichen Dieb unter den Mönchen oder Konversen zum Opfer gefallen, der zufällig auf das Versteck in der Bibel gestoßen ist. Vielleicht befand sich darin Geld oder ein kostbares Schmuckstück, das der Schweinehund natürlich behalten hat. Aber weil das ausgehöhlte Buch ja für sich allein keinen Wert besitzt und er damit nichts anfangen kann, hat er es gleich am nächsten Tag wieder in deinen Strohsack gesteckt, wohl in der Hoffnung, dass du noch gar nicht bemerkt hast, dass es kurz verschwunden war.«
    Sebastian zog die Stirn kraus. »Mhm, möglich wäre es«,
räumte er ein. »Denn dass die Reisebibel verschwunden war, ist mir wirklich nur durch einen Zufall aufgefallen. Weil ich nämlich den Strohsack aufschütteln und die Füllung besser verteilen wollte.« Und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn elektrisierte. »Warte! Es gibt da noch einen Verdächtigen!«
    »Und der wäre?«, fragte Lauretia gespannt.
    »Der Kapuzenmann!«
    Verblüfft sah sie ihn an. »Das kann nicht dein Ernst sein!«, stieß sie ungläubig hervor.
    »Ja, warum denn nicht? Es kam mir doch schon in der Nacht vor meinem Eintritt ins Kloster so merkwürdig vor, dass

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