Das Kloster der Ketzer
nicht mehr reicht, um das Fuhrwerk zurückzubringen, Dornfelds Pferde auszuspannen und Rufus aus dem Stall zu holen. Auch weiß ich nicht, wie ich es dir mitteilen sollte, falls es mir irgendwann vielleicht doch gelingt. Ich kann ja schlecht bei Einbruch der Dunkelheit an die Pforte klopfen und nach dir fragen.«
Auch Sebastian wusste keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Und sich jede Nacht auf die bloße Hoffnung hin aus dem Kloster zu schleichen, dass Lauretia es vielleicht doch hatte einrichten können, erschien ihnen beiden zu riskant. Das hieße, sein Glück auf eine gefährliche Probe zu stellen. Und so beschränkten sie sich darauf, sich erst wieder am folgenden Mittwoch zur selben Zeit zu treffen, doch dann nicht oben an der Landstraße, sondern gleich unten am Ufer des Flusses, wo der Wald ihnen Schutz vor zufälliger Entdeckung bot.
Zum Abschied überwand Sebastian seine Hemmung und
schloss sie in seine Arme. Und dann fanden auch ihre Lippen in einem langen, zärtlichen Kuss zueinander.
Sebastian glaubte noch immer, ihren weichen Mund auf seinen Lippen spüren zu können, als er sich schon längst wieder jenseits der Klostermauern befand und über den ausgestorbenen Hof zur Kornmühle schlich. Die alte Ledertasche mit der Reisebibel hatte er sich über die Schulter gehängt.
Er war noch ganz vom Aufruhr seiner Gefühle gefangen, als er durch die offen stehende Tür in den pechschwarzen Vorraum trat, von dem aus es links in die Druckwerkstatt und über die Stiege hoch zu seiner Kammer ging.
Er war dermaßen in Gedanken an Lauretia versunken, dass er um ein Haar mit der Gestalt zusammengestoßen wäre, die sich dort im Vorraum plötzlich vor ihm aus der Schwärze löste. Er stieß einen unterdrückten Schrei aus und geistesgegenwärtig schob er mit seinem Ellbogen die Tasche mit der Bibel von der Hüfte weg und auf seinen Rücken.
Es war der Novizenmeister, der vor ihm stand.
10
Auch Bruder Scriptoris zuckte bei ihrem Zusammentreffen erschrocken zusammen, er fasste sich jedoch sofort wieder. »Da bist du ja!« Es klang, als hätte er ihn gesucht.
Sebastian starrte ihn mit offenem Mund an und wusste nicht, was er sagen sollte. Die Verzauberung, die Lauretias inniger Kuss in ihm ausgelöst hatte, war augenblicklich wie weggewischt. Schließlich brachte er ein dümmlich lahmes »Ihr wollt zu mir?« hervor.
»In der Tat! Aber ich war doch sehr überrascht, deine Kammer leer vorzufinden. Seit wann treibst du dich denn des Nachts draußen herum, Laurentius? Gehörst du vielleicht zu den Leuten, die unter Schlafwandel leiden?«, fragte Bruder Scriptoris mit leicht spöttischem Tonfall. »Ich dachte, so etwas geschieht nur bei Vollmond, und du machst so gar keinen schlafwandlerischen Eindruck auf mich. Mal davon abgesehen, dass es bis zum nächsten Vollmond noch gute zwei Wochen hin sind.«
Sebastian brach der Schweiß aus, was der Novizenmeister in der Dunkelheit zum Glück nicht sehen konnte.
»Mir... mir war so warm in der Kammer, und dann... dann drückte mich auch noch ein menschliches Bedürfnis, so dass es mich da oben nicht länger hielt«, log er und deutete mit der rechten Hand vage die Stiege hinauf, während er mit dem linken Arm die Ledertasche auf den Rücken presste. Gleichzeitig drehte er sich von der Tür weg und in die Schwärze des Vorraumes. Dennoch rechnete er jeden Augenblick damit, dass der Mönch trotz der Dunkelheit den Lederriemen über seiner Schulter bemerkte, ihm die Tasche mit der Bibel abnahm und ihn zur Rede stellte. Und was sollte er ihm dann erzählen? Wenn die Wahrheit ans Licht kam, waren seine Tage als Novizenanwärter in diesem Kloster gezählt.
»So«, sagte Bruder Scriptoris nur und ein argwöhnischer Unterton schwang in seiner Stimme mit.
»Aber wieso wolltet Ihr mitten in der Nacht zu mir?«, fragte Sebastian verwundert und hoffte ihn mit dieser Frage von seiner schwachen Lügengeschichte abzulenken.
»Mir war, als hätte ich in deiner Kammer noch Licht brennen sehen, als ich mir im Hof einen Augenblick frische Luft gönnte. Und da dachte ich, dich noch beim eifrigen Studium der Heiligen Schrift oder unserer Regel anzutreffen und
dir die Nachricht unseres Vater Abtes sogleich überbringen zu können«, antwortete der Novizenmeister.
»Welche Nachricht?« »Ich hatte ein langes nächtliches Gespräch mit unserem ehrwürdigen Vater Abt, der sich gesund genug fühlt, um morgen in unsere Mitte zurückzukehren und sein Hirtenamt wieder aufzunehmen. Dabei ging es auch
Weitere Kostenlose Bücher