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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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ist nichts weiter als eine Behauptung, die jeglicher theologischen Begründung entbehrt«, merkte der Novizenmeister trocken an.
    »Dann lest doch in der Bibel nach, wem Jesus Christus die Schlüsselgewalt zu Himmel und Hölle übergeben hat, nämlich
Petrus und seinen Nachfolgern! In ihren Händen allein liegt diese universale Schlüsselgewalt auf Erden! ›Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Dir will ich geben die Schlüssel des Reiches der Himmel!‹ So steht es geschrieben bei Matthäus in Kapitel 16, Vers 19, falls Ihr das bei Eurem ach, so intensiven Studium überlesen haben solltet!«, hielt ihm der Prior mit triumphierender Heftigkeit vor. »Und habt Ihr, der so gelehrte Doktor der Theologie und stolze Inhaber eines solchen Lehrstuhls, vielleicht vergessen, was schon der weise Cusanus 30 über unsere heilige Mutter Kirche vor gut hundert Jahren geschrieben hat? Ich will es Euch gerne in Erinnerung rufen: Nämlich dass er, nachdem er alles durchdacht habe, was dem menschlichen Verstand zugänglich sei, vor der abgründigen Leere schaudere, in der der Mensch nicht atmen könne, und er sich daher dankbar an den Felsen klammere, auf dem die Kirche als auf einem aus den Tiefen der Erde gewachsenen Fundament ihre Lehre aufgemauert habe, und daran, dass ihre dicht geschlossenen Fugen Schutz gegen den Zweifel gewähren! Deshalb dürfen keine noch so kleinen Löcher geduldet werden, die Ketzer wie Ihr in die Mauern reißen und durch die der Satan seinen giftigen Rauch in die heilige Mutter Kirche blasen kann!«
    »Das mag für Cusanus gelten, widerlegt jedoch nicht meine Erkenntnis und Lehre!«, wies Bruder Scriptoris den Vorwurf zurück.

    »Lehre!« Der Prior machte eine abschätzige Handbewegung. »Eure wirren ketzerischen Lehren haben doch zu nichts als Aufruhr und Chaos geführt, selbst unter Euren eigenen, irregeleiteten Anhängern! Was ist denn in den von Eurem schändlichen Gedankengut befallenen Städten seitdem passiert? Die Bilder wurden bei Euch aus den Kirchen gerissen, die Messe in der tradierten Form abgeschafft, das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt sowie Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern vertrieben und nicht selten zur Heirat gezwungen. Priestern, die sich nicht fügen wollten, wurde Gewalt zugefügt, ja sogar getötet hat man einige! Pöbel und Willkür herrschen und haben zur Auflösung jeglicher Ordnung geführt. Und der blutige Bauernaufstand vor zwei Jahren geht auch auf das Konto Eurer aufrührerischen Predigten und Irrlehren!«
    »Ja, derartige bedauerliche Auswüchse sind vorgefallen«, räumte Bruder Scriptoris ein. »Aber sie sind nur denjenigen zuzuschreiben, die meine Lehren falsch ausgelegt und zum Freibrief für ihre persönlichen, sehr eigennützigen Ziele genommen haben.«
    »Unsinn!«, widersprach Bruder Sulpicius. »Das ist stets das unabwendbare Ergebnis, wenn man dem Unglauben, der Dummheit und der Verworfenheit des sündigen Menschen die zügellose Freiheit lässt, so wie Ihr es getan habt. Um dieses selbstsüchtige Wirrwarr zu verhindern, bedarf es nun mal der festgemauerten Dogmen der Kirche. Wohin kämen denn die Kirche und der Glaube, wenn ein jeder nach seinem eigenen Gutdünken entscheiden dürfte, was zu glauben ist und was nicht? Ohne eine Einbindung des Glaubens in Regel und Vorschrift würde er sich bald ins Leere verlieren, und nicht das Ideale, sondern nur das Platte und Absurde würden sich ausbreiten – wie bei Euren Anhängern geschehen.«
    Zustimmendes Gemurmel erhob sich im Kapitelsaal.

    Der Abt räusperte sich und meldete sich zum ersten Mal seit Beginn der hitzigen Disputation zu Wort. »Wir sollten langsam zum Ende kommen, werte Mitbrüder.«
    Bruder Scriptoris setzte zu einer Erwiderung an, doch der Prior redete hastig weiter, weil er in diesem Punkt den Vorteil auf seiner Seite wusste.
    »Und lasst mich noch ein Wort zu Eurer verderblichen Behauptung sagen, der Mensch werde allein durch den Glauben vor Gott gerechtfertigt und nicht durch seine Werke. Wisst Ihr, was Ihr mit diesem verwerflichen Lehrsatz in Wirklichkeit bewirkt habt? Er hat dazu geführt, dass überall dort, wo Eure böse Saat aufgegangen ist, die guten Werke ausbleiben, es kaum noch zu wohltätigen Stiftungen und Schenkungen kommt und die Verrohung und Verwilderung der Sitten wüste Triumphe feiern! Eure irregeleiteten Anhänger werfen nur zu bereitwillig die Last der guten Werke ab und

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