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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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stelle ich nicht in Abrede!«, erwiderte Bruder Scriptoris. »Schon zu Beginn meines
Aufbegehrens gegen die römischen Missbräuche habe ich in meiner 71. These geschrieben: ›Wer gegen die Wahrhaftigkeit des apostolischen Ablasses redet, der sei verbannt und verflucht! ‹ Aber ich kämpfte von Anfang an gegen die verlogenen Pfennigprediger und Beutelschneider im Gewand der Dominikaner, die in päpstlichem Auftrag durch die Lande ziehen, und gegen die falsche Auffassung von der Kraft des Ablasses, die sie dem Volk aufschwatzen. Der Papst kann nämlich nur diejenigen Kirchenstrafen erlassen, die er selbst verhängt hat, und nichts darüber hinaus. Schuld vergeben kann nur Gott allein! Die Verstorbenen sind frei von irdischen Kirchenstrafen. Daher können und brauchen sie auch nicht erlassen zu werden. Was sie bedürfen, ist Gebet und Mehrung der Liebe durch das Gebet. Zudem: Wenn der Papst wirklich Sünden vergeben könnte, warum befreit er dann nicht alle im Fegefeuer leidenden Seelen aus christlicher Sorge und aus dem Drang heiliger Liebe heraus? Soll man wirklich glauben dürfen, er tue es nur des schändlichen Geldes wegen, um einen prachtvollen Kirchenbau wie den Petersdom errichten und seinen ausschweifenden Hofstaat finanzieren zu können? Er, der Stellvertreter Gottes? Was kann einem Papst, der im wahren Glauben steht, schon an schnödem Mammon gelegen sein? Hat Christus vielleicht gelehrt, man solle seinen Mantel verkaufen, um dafür Ablässe erstehen zu können? Nein, der Ablass ist eine Schande für die Kirche und den wahren Glauben, den Jesus Christus gelehrt und uns in der Heiligen Schrift hinterlassen hat!«
    Ein erregtes Raunen ging ob der scharfen Verurteilung der päpstlichen Ablasspraxis durch die Reihen der Mönche, aber hier und da sah Sebastian, den die Ausführungen nicht nur beeindruckt, sondern von ihrer Wahrheit überzeugt hatten, auch einige nachdenkliche und verunsicherte Mienen.
Denn die Vorwürfe, die Martin Luther erhoben hatte, ließen sich theologisch nicht entkräften.
    Das zeigte sich auch sogleich, als der Prior zu seiner Gegenrede ansetzte. Es gelang ihm nicht, mehr als einige sehr schwammige Argumente für den Ablass ins Feld zu führen. Er berief sich erst auf die kirchengeschichtliche Tradition, und als er merkte, dass er damit wenig überzeugend klang und gegenüber seinem Widersacher keinen Boden gewann, verschanzte er sich umgehend hinter der Behauptung, dass der Papst nun mal kraft seines Stellvertreteramtes mit besonderen göttlichen Offenbarungen gesegnet sei und es daher sehr wohl in seiner Macht stehe, die Gnadenmittel des Ablasses auch über weltliche Kirchenstrafen hinaus auszudehnen. Und unter dem leicht zu durchschauenden Vorwand, dass der Streit um den Ablass ja angesichts der anderen, viel schwerwiegenderen lutherischen Irrlehren eine eingehendere Diskussion gar nicht lohne, hatte er es dann sehr eilig, zum nächsten Punkt zu kommen, nämlich zu der ketzerischen lutherischen Rechtfertigungslehre.
    Bruder Scriptoris erlaubte sich ein feines, flüchtiges Lächeln, ging jedoch kommentarlos auf die Aufforderung zum Themenwechsel ein.
    »Bei meiner so genannten Rechtfertigungslehre geht es um die entscheidende Frage, wie der glaubende Mensch zu Gott kommt und vor ihm bestehen kann«, leitete er seinen Exkurs ein. »Rom besteht darauf, dass der Gläubige nur durch die römisch-katholische Kirche und den Weg über die Vermittlerrolle ihrer geweihten Priesters zu Gottes Gnade und zum Frieden seiner Seele gelangen kann.«
    »In der Tat!«, bekräftigte der Prior, und viele der Mönche zeigten durch nachdrückliches Nicken an, dass auch sie nicht an diesem zentralen Dogma zweifelten.

    »Aber ich, Martin Luther, habe nach intensivem Studium der Heiligen Schrift und langer Betrachtung im Gebet erkannt, dass diese Behauptung der wahre Irrglaube ist, eine Verblendung der päpstlichen Dogmatiker, die sich wie hartherzige Buchhalter gebärden und das drückende Kirchenrecht wie Mühlsteine auf die Seelen der Gläubigen legen!«, verkündete Bruder Scriptoris kategorisch. »Was Rom lehrt, ist ein armseliger Kinderglaube, den man auch nur einem unwissenden Kindergemüt verzeihen kann. Denn den Frieden der Seele und die Rechtfertigung vor Gott erreicht der Gläubige nicht, indem er die hartherzigen, kirchlichen Vorschriften getreu befolgt, sich in blindem Gehorsam den zahllosen Lehrsätzen unterwirft und sich guter Taten befleißigt, sondern nur sola fide – also allein aufgrund

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