Das Kloster der Ketzer
des Glaubens – kann ihm Gottes Gnade zuteil werden. Denn im Römerbrief Kapitel 1, Vers 17 steht unmissverständlich geschrieben: ›Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zum Glauben, wie es in der Schrift heißt: Der aus Glauben Gerechte wird leben.‹ Gott ist kein Krämer, zu dem wir mit der Liste unserer guten Taten und Ablässe kommen, um dafür unseren schon auf Erden bezahlten göttlichen Lohn abzuholen. Deshalb kann sich auch kein Mensch vor Gott durch Befolgung von Dogmen und aufgrund seiner Werke rechtfertigen und sich von seinen Sünden reinwaschen. Allein der Glaube an Gott und seine große Liebe vermag das zu leisten. Der Weg zum Himmel ist eben nicht gepflastert mit sklavischer Unterwerfung unter das von hartherzigen und engstirnigen Menschen geschaffene Kirchenrecht und einer möglichst großen Zahl guter Werke, sondern es ist in erster Linie der hingebungsvolle Glaube, der den Menschen zu retten vermag. Dann ergibt sich ganz von selbst das rechtschaffene, gottgefällige Leben mit seinen guten Taten. Die Befreiung des Menschen aus seiner Sündhaftigkeit
geschieht allein durch einen Akt göttlicher Gnade, die nicht erzwungen oder gar erkauft werden kann. Alles andere ist eitles und nichtiges Menschenwerk.«
Und er führte anschließend noch näher die drei zentralen lutherischen Prinzipien aus, nämlich dass der Gläubige seiner Überzeugung nach allein durch die Gnade Gottes, sola gratia , allein aus Glauben, sola fide , und allein durch das eigenständige Studium der Heiligen Schrift, sola scriptura , vor Gottes Angesicht Gnade und sein Seelenheil erhalten werde. Wobei er betonte, dass der gläubige Christ sich nicht der kirchlichen Auslegung der Bibel zu beugen habe, sondern völlig ohne deren Vermittlerrolle und allein durch eigenes Studium zur wahren Erkenntnis der Botschaft Jesu Christi vordringen könne. Den einzigen Vermittler, den er, Martinus Luther, und jeder freie Christenmensch anerkennen könne, sei Jesus Christus. Solus Christus nannte er das, Rechtfertigung allein durch den Glauben an den Erlöser, dessen Botschaft das Kernstück der Heiligen Schrift sei.
Als der Prior nun das Wort zur Gegenrede ergriff, überzog er seinen Gegner zuerst einmal mit triefendem Hohn. »So, einem unbedeutenden Augustinermönch aus der hintersten Provinz wie Euch ist diese... Rechtfertigungslehre «, er spie das Wort wie einen Schwall bitterer Galle aus, »also in einer Art von göttlicher Offenbarung zuteil geworden, ja? Ihr also wurdet vom Heiligen Geist dazu auserkoren, endlich zu erkennen, was die gelehrtesten Kirchenväter und Theologen in tausendfünfhundert Jahren theologischer Mühen nicht gefunden und erkannt haben?«
»In der Treue und Liebe gerade schwacher Menschen wird Gottes Kraft offenbar«, antwortete Bruder Scriptoris ruhig. »Die Bibel ist voll von diesen Beispielen, dass die scheinbar Unwürdigsten von Gott berührt und zu Besonderem bestimmt
wurden. Und Jesus ging in erster Linie nicht zu den Frommen, Gesunden und Angesehenen seiner Zeit, sondern seine große Liebe und Hingabe galt zuerst den Sündern und Kranken und Ausgestoßenen!«
Bruder Sulpicius machte eine unwillige, wegwischende Geste. »Ihr irrt auf das Fürchterlichste, Martin Luther! In jeder Beziehung. Eure Irrtümer sind die der alten Häretiker, der Waldenser, Pikarden, Wiclefiten, Hussiten und anderer, und sie sind schon längst vom Papst und von den Konzilien verworfen und verdammt worden. Wie könnt Ihr Euch also anmaßen, in Zweifel zu ziehen, was die katholische Kirche in anderthalb Jahrtausenden rechtlich festgelegt, was unsere Väter im Glauben festgehalten und wofür unzählige Märtyrer willig den Tod erlitten haben? Was die klügsten Gelehrten der Kirche in Hunderten von Jahren an Lehrsätzen festgelegt haben, um die übersinnliche Wahrheit zu fassen, ist so etwas wie ein gewaltiges, Ehrfurcht gebietendes Kirchengewölbe, das sich zum Schutz über das gläubige Volk spannt. Ein Lehrsatz greift in den anderen, so wie beim Bau eines kunstvoll gemauerten Deckengewölbes ein Stein an den anderen gesetzt wird. Und da kann man dann nicht ungestraft einfach aus einem Rundbogen hier einige Steine und dort ein Stück herausbrechen. Tut man es doch, so wie Ihr es Euch in Eurer Verblendung und Verirrung anmaßt, dann wird das ganze Gewölbe auseinander brechen und als Trümmer herabstürzen. Und deshalb müssen die kirchlichen Lehrsätze schlichtweg geglaubt und bekannt werden!«
»Das
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