Das Kloster der Ketzer
Klosterbruder hatte ihm schon beim Abendessen und sogar während der Komplet bedeutungsvolle Blicke zugeworfen und ihm versteckte Zeichen gegeben, die er jedoch nicht recht zu deuten vermocht hatte. Dass ihn wieder irgendetwas bewegte und in starke Aufregung versetzt hatte, lag jedoch auf der Hand.
Pachomius schlich sich so eng an der linken Treppenwand hoch, dass die drei Mitbrüder auf der anderen Seite des Küchengewölbes ihn nicht sehen konnten. Sechs, sieben Stufen vor dem oberen Absatz blieb er stehen und bedeutete Sebastian, zu ihm zu kommen.
Sebastian zögerte. Er hörte hinter sich, wie der Prior zu Bruder Cäsarius sagte: »Ja, gut so. Spart nicht am Honig! Unser ehrwürdiger Vater Abt braucht in diesen schweren Tagen jede nur erdenkliche Stärkung! Er ist noch viel schwächer, als es den Anschein hat.«
»Für mehr als seinen Schlaftrunk reicht der Honig sowieso nicht mehr«, brummte der Klosterbruder.
Sebastian glaubte, es riskieren zu können, und tat so, als würde er auch die oberen Kellerstufen fegen. Auf diese Weise kam er Pachomius vier Stufen entgegen. »Was ist denn?«, flüsterte er.
»Ich muss unbedingt mit dir reden!«, gab Pachomius leise und mit sichtlich verstörter Miene zurück. »Und zwar heute noch! Du wirst bestimmt einen Rat wissen! Ich weiß sonst nicht, was ich tun soll!«
Sebastian verzog das Gesicht und musste an sich halten, um nicht auch noch die Augen zu verdrehen. Er hatte genug von Pachomius’ Geschichten. »Wenn du mir wieder mit deinen Versuchungen und den Dämonen kommst, dann...«
Pachomius ließ ihn nicht ausreden. »Nein, das ist es nicht! Ich habe etwas entdeckt! Etwas Ungeheuerliches, das...« Er schluckte schwer und schüttelte den Kopf, als könnte er es nicht über sich bringen, dieses Ungeheuerliche beim Namen zu nennen.
»Was hast du entdeckt?« Skepsis schwang in Sebastians Stimme mit.
»Was es mit den ketzerischen Flugblättern auf sich hat!«, stieß Pachomius beschwörend hervor, und so etwas wie Angst flackerte in seinen Augen auf. Seine Hand glitt unter das Skapulier, griff in die Tasche seines Gewandes und kam kurz mit den Zipfeln von zusammengefalteten Blättern Papier wieder zum Vorschein. »Ich habe die beiden Flugblätter verglichen und dabei ist mir etwas Erschreckendes aufgefallen! Aber das kann ich dir nicht hier sagen. Ich muss es dir zeigen, damit du verstehst, was ich meine! Am besten treffen wir uns nachher in der Kapelle! Sagen wir in einer halben Stunde, einverstanden?«
Sebastian nickte knapp und kehrte mit seinem Reisigbesen schnell wieder nach oben auf den Treppenabsatz zurück. Was mochte Pachomius wohl so Ungeheuerliches aufgefallen sein? Und wieso hatte er von zwei Flugblättern gesprochen?
Gerade hatte Sebastian oben im Küchengewölbe seine Arbeit wieder aufgenommen, als von der anderen Seite des Raumes ein scharfer, schmerzerfüllter Aufschrei kam, gefolgt von einem Messer, das klirrend auf den Bodenplatten aufschlug.
»Sagt bloß, Ihr habt Euch mal wieder geschnitten, Candidus?«, rief Bruder Cäsarius ahnungsvoll.
Bruder Candidus hielt sich mit schmerzerfüllter Miene die verletzte linke Hand. Blut rann zwischen den Fingern hervor und über sein Handgelenk. »Ich... ich weiß auch nicht, wie mir das passieren konnte. Ich bin plötzlich vom Schleifstein abgerutscht und da ist mir die Klinge in den Handballen gefahren!«, brachte er kläglich hervor.
Der Prior schüttelte ob solch einer groben Ungeschicklichkeit nur stumm den Kopf.
Bruder Cäsarius warf dem jungen Mitbruder ein altes Küchentuch zu. »Wickelt Euch das um die Hand! Und dann seht zu, dass Ihr so schnell wie möglich zum Infirmarius kommst!«
Sebastian fegte mit seinem Besen schon draußen den Gang vor der Küche, als Bruder Candidus mit bleichem Gesicht an ihm vorbei eilte. Und dann hörte er, wie der grantige Küchenvorsteher Pachomius zu sich rief: »Hier! Nehmt das Tablett und bringt unserem ehrwürdigen Vater Abt seinen Schlaftrunk!«
Wenige Augenblicke später tauchte Pachomius mit dem kleinen, rundgeschnitzten Tablett bei Sebastian im Gang auf. »Sieh zu, dass du nachher oben in der Kapelle bist!«, raunte er ihm im Vorbeigehen beschwörend zu, als fürchtete er, Sebastian könne es sich noch einmal anders überlegen. »Lass mich nicht im Stich, hörst du? Ich weiß sonst nicht, was ich machen soll!«
»Ich werde da sein!«, versicherte Sebastian.
Pachomius ging nun schnell weiter, weil der Prior hinter ihnen aus der Küchentür trat und mit
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