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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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und wirft die Tür zu. Der Fahrer geht wankend zum Wagen zurück, räuspert sich und rotzt einen großen, rötlichen Fleck auf den Boden. Der Truck setzt vorsichtig rückwärts vom Parkplatz. Ich kann ihn noch lange hören, dann verschmilzt sein Motorengeräusch mit dem allgemeinen Verkehrslärm auf der Miklabraut. Es wird Abend, ich gehe rein, der Parkplatz ist leer, nichts außer ein paar dösenden Autos und dem roten Fleck des Truckers.

Seehundflossen
    Die Tonne ist voller Seehundfleisch, der Sack voller Flossen. Stiefmutter hat die Tonne auf den Balkon verfrachtet. »Da kann sie stehen, solange sich der Frost hält«, sagt sie zu Vater, als der von der Arbeit nach Hause kommt. Schönes Wort: Seehundflossen. Ich trage es wie eine leuchtende Auszeichnung vor den anderen Kindern her. »Es sind die Hände von Seehunden«, erkläre ich huldvoll. Stiefmutter kocht das Seehundfleisch im großen Topf. »Lieber würde ich meinen linken Arm verlieren, als Seehundfleisch zu essen«, sagt der britische Oberst, nachdem ich meinen Spielzeugsoldaten den Geschmack erläutert habe. Die Flossen müssen Papa und ich nicht essen. Das ist der Grund, weshalb das Wort nicht seinen Glanz verliert. Samstagabends aber, wenn Stiefmutter den Abwasch erledigt und den Tisch abgewischt hat, nachdem sie im Waschkeller die Maschine angeworfen hat, wenn Vater in einem roten Sessel sitzt und fernsieht und wenn sich die Dunkelheit auf Reykjavik herabsenkt, dann setzt sich Stiefmutter an den Küchentisch und nagt an den Seehundflossen. Irgendetwas geht dann mit ihr vor, ihr hartes Gesicht überzieht sich mit der Weichheit von Moos. Es ist faszinierend. Ich ziehe mich aus den heißesten Schlachten zurück, um das zu beobachten. Mit drei Kugeln im Körper erhebe ich mich vom Schlachtfeld, Blut rötet den Teppichboden, aber die Wunden schließen sich auf dem Weg in die Küche, die Gewehrkugeln verschwinden, und ich bin wieder vollkommen heil, wenn ich mich Stiefmutter gegenüber hinhocke. Anfangs sehe ich ihr nur zu. So vergehen drei Samstagabende. Wir beide sitzen in der Küche, Papa vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Er guckt »Mini-Max oder die unglaublichen Abenteuer des Maxwell Smart«. Drei Samstagabende vergehen, ehe ich auf die Idee komme, etwas zu erzählen, das eine oder andere zu erklären, solange sie diesen milden Gesichtsausdruck hat. Anfangs bin ich noch ein wenig zögerlich. Ich muss nämlich aufpassen. Denn wenn ich ohne nachzudenken draufloserzähle, verschließt sich ihr Gesicht wieder und sie sagt: »Was für ein dummes Kindergeschnatter!« Ich muss erst nachdenken, bevor ich den Mund aufmache. Ich übe tagsüber in meinem Zimmer, und die Partisanen hören mich ab. Oft geraten sie in große Gefahr, Kugeln sirren ihnen um die Ohren, und der Mond glänzt über ihnen wie das Rohr einer Kanone. Dann müssen sie vieles in wenige Worte fassen. Vieles, von dem die Stiefmutter keine Ahnung hat. Manchmal könnte man meinen, sie sei erst in dem Moment geboren, in dem sie aus Vaters Schlafzimmer kam und zwei ganze Armeen mit ihrem Schweigen und ihrer Leichenbittermiene in Lähmung erstarren ließ. Dabei hat sie lange genug »oben im Norden« gelebt und einiges erlebt. Björgvin hat mir erzählt, dass sie mit zehn ihren ersten Seehund umbrachte und mit zwölf einen Eisbären tötete. Sie schlug ihm mit einem Zaunpfahl den Schädel ein. Eisbären sollen ganz schön groß sein. Sie passen kaum bei uns durch die Küchentür und schon gar nicht in die Badewanne, sagt Björgvin. Aber was hilft es einem, einen Eisbären erschlagen zu haben, wenn man nicht einmal weiß, dass es Söbekk gibt oder dass sein Haar kurz und dunkel ist und in sämtliche Richtungen absteht wie eine Sammlung saftiger Flüche? Nein, Stiefmutter ahnte nicht einmal die Existenz von Bäcker Bödvar, hatte nie die Musik gehört, die er nachts spielte, wenn er buk, manchmal so laut, dass die Leute in der Nachbarschaft davon aufwachten und sich beschwerten. Nie hatte sie von seinen Augen gehört, rot vor Schlaflosigkeit und so traurigen Gedanken, dass die Damen im Stoffgeschäft Vogue darüber in Tränen ausbrachen. Sie hatte nie die Schere über dem Eingang von Vogue beachtet, die schneidet und schneidet, und noch weniger wusste sie von dem Schiff auf dem First des Hauses, in dem Skulis Vater arbeitet. »Du solltest mal hingehen«, sage ich über den Küchentisch. Ein Samstagabend nach dem anderen kommt und geht, und Stiefmutter lernt eine Menge. Die Wochen gehen tief in den Herbst

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